Das Spiel der Nachtigall
einfallslos und armselig im Vergleich dazu.« An den Bischof gewandt, fügte sie hinzu: »Und wie könnte es anders sein? David wurde erwählt und gesalbt von Gott. Die Philister schmetterte er in den Staub.«
In dem Schweigen des Bischofs hörte sie die Hufschläge, Wagenräder, das Gemurmel der Reiter und zu Fuß Gehenden, sogar Vogelzwitschern, wie sie es auf der ganzen Reise bisher noch nie so deutlich vernommen hatte. Walthers Pferd schnappte nach dem ihren; das brach den Bann.
»Da Christus, unser Herr, aus dem Haus Davids stammt«, entgegnete Walther, »wäre es in der Tat anmaßend von mir, bessere Sänger anzuführen oder die Schönheit der Psalmen zu leugnen. Aber wisst Ihr, ich fand immer, dass auch das schönste Lied an Glanz verliert, wenn man stets darauf besteht, nur dieses Lied zu wiederholen und nichts Neues zuzulassen. Keiner von uns kann wie David singen. Doch wir können immer unsere eigene Stimme finden, hier und heute.«
Es war, als hätte er das überbordende Wasser eines Stroms nach einem Gewitter in einen neuen Kanal gelenkt, und wie kunstfertig er das getan hatte, bemerkte sie erst, als sie auf seiner Stirn kleine Schweißperlen stehen sah, während sein Mund lächelte. Auch Walther musste Angst haben. Aber er hatte trotzdem seine Worte so gesetzt, dass dem Bischof eine Brücke zu einer Diskussion über Dichtkunst gebaut war.
Wolfger betrachtete sie noch einen Moment länger, dann sagte er: »Nun, solange Eure Stimme Worte spricht, die Gott genehm sind, Herr Walther, ist das ein löbliches Unterfangen.« Er nickte Judith zu. »Ich werde Eurer Herrin die Psalmen zukommen lassen.«
An diesem Abend kamen sie in Nürnberg unter, wo Irene als zukünftiger Schwägerin des Kaisers die Kaiserpfalz zur Verfügung stand. Da Judiths Kräuter inzwischen ihre Wirkung zeigten, wäre Irene, die stark blutete, am liebsten sofort im Bett verschwunden, doch eine kleine Gesandtschaft der wichtigsten Bürger von Nürnberg machte ihre Aufwartung. Also ließ sie sich von Judith mit Rosenwasser einreiben und von ihren Mägden neu einkleiden; dann empfing sie die Herren, von denen die meisten Kaufleute waren. Einer von ihnen schaute während der vorgetragenen guten Wünsche, Versicherungen der innigen Verbundenheit von Nürnberg mit dem Haus Hohenstaufen und anderen erbaulichen Gedanken öfter zu Judith hinüber, die mit den Mägden im Hintergrund stand. Etwas an ihm kam ihr vertraut vor, doch sie hätte es nicht beschwören können. Da sie in Gedanken immer noch beim Bischof und Walther war, erwies sich der Versuch, die Erinnerung aus ihrem Gedächtnis zu locken, als fruchtlos.
Als sich die Gesandtschaft wieder verabschiedete, bat der Mann, dessen Haar sie an eine Mischung aus Pfeffer und Salz erinnerte, um Verzeihung, während er als Letzter seiner Gruppe auf der Schwelle stand, und fragte, ob die Dame in Schwarz vielleicht aus Köln stamme. An seinem Akzent war sofort zu hören, dass er ebenfalls vom Rhein kommen musste.
»Das tut sie in der Tat«, erwiderte Irene und fügte leicht gereizt hinzu, wenn der Nürnberger Judith mit einem Lied beehren wolle, so möge er das nicht in ihrem Gemach tun, wo sie nun Ruhe zu haben wünsche. Leichte Verwirrung stand in den Zügen des Kaufmanns geschrieben, doch Judith nickte und begleitete ihn nach draußen. Sie wusste immer noch nicht, wer er sein konnte, doch jedes Rätsel war besser, als Zeit zum Grübeln zu haben.
»Bist du«, fragte der Mann unvermittelt in der Sprache ihrer Kindheit, jenem mit hebräischen Worten versetzten Deutsch, »die Tochter von Rebecca bar Menasse und Josef ben Zayn?«
Es war das erste Mal, dass sie den Namen ihres Vaters wieder ausgesprochen hörte, seit sie die Alpen überquert hatte. Sie versuchte, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken. »Das bin ich. Wer …«
»Ich war Avram ben Menasse«, sagte er, »und wurde Stefan von Köln. Du siehst deiner Mutter überaus ähnlich, Nichte.«
Der verlorene Onkel. Sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Dann wurde ihr bewusst, unter welchen Umständen sie hier war und was er annehmen musste, da Irene sie als »die Magistra Jutta« bezeichnet hatte, und sie beugte ihr Haupt.
»Sie hat stets nur mit Zuneigung von dir gesprochen, Onkel«, sagte sie leise, und das Wort klang fremd und voll Verwunderung. »Nicht oft, denn mein Vater billigte es nicht, wenn dein Name fiel. Doch manchmal sprach sie von dir, wenn sie von ihrer Kindheit erzählte, und nur im Guten.«
»Sie war eine
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