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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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liebevolle Schwester«, sagte er und seufzte. Wie sich herausstellte, war er hier, weil der Kölner Kaufmann Gerhard Unmaze, mit dem er häufig zusammenarbeitete, mit einem der Nürnberger Kaufleute eine Allianz eingehen wollte. Selbst ihr war der reiche Gerhard ein Begriff; es gab in Köln keinen berühmteren Kaufmann.
    »Bei einem solchen Gönner hast du Glück, Onkel.«
    »Mein Freund Constantin hat die Bekanntschaft vermittelt«, sagte er und stockte sofort wieder. Sie wusste, weswegen: Constantin war der Münzmeister von Köln und entstammte einer Familie Abtrünniger. Sie hatte keine Ahnung, ob es Constantins Eltern oder die Großeltern waren, die sich hatten taufen lassen, doch getauft waren sie, und jedem Juden in Köln war bekannt, dass der Münzmeister tatsächlich zur christlichen Messe ging und bei den Zunftessen Schweinefleisch aß. Nach einer kleinen Pause fuhr ihr Onkel fort: »Constantin ist auch mein Schwager; meine Gemahlin Martha ist seine Schwester.«
    Sie fragte sich, ob das einer der Gründe für seinen Übertritt gewesen war, doch das war nichts, was man bei einer ersten Begegnung fragen konnte. Es war schwer, in ihm ihre Mutter zu sehen, doch je länger sie ihn betrachtete, desto mehr fielen ihr Kleinigkeiten auf, die übereinstimmten: die Form der Ohren, etwas um die Augen, sogar die Art, wie er Worte betonte.
    »Hast du auch Kinder, Onkel?«
    »Zwei.« Er erzählte von einem Sohn und einer Tochter, bis wieder die unbehagliche Stille von Fremden, die einander kennen sollten, zwischen sie fiel. Sie hätte von sich selbst erzählen können, von Salerno, vom Tod ihres Vaters, und vielleicht wartete er darauf, doch sie scheute davor zurück. Stattdessen fragte sie ihn, warum er der Prinzessin seine Aufwartung gemacht hatte, wenn er nur ein Gast hier in Nürnberg war.
    Er zögerte. »Es … hat nicht unbedingt etwas mit der Prinzessin zu tun. Sag, weißt du, wo der Bischof von Passau untergebracht wurde? Ihm wollte ich eigentlich meine Aufwartung machen.«
    Sie konnte nicht verhindern, dass sie zusammenzuckte. »An deiner Stelle wäre ich vorsichtig bei einem solchen Unterfangen, Onkel«, sagte sie, doch kaum hatte sie den Mund geöffnet, da bereute sie es schon wieder. Ihr Onkel war ein Christ, und es war anmaßend von ihr, anzunehmen, er sei es nur um äußerer Vorteile wegen. Wenn er ein gläubiger Christ war, dann gab es nichts, was er von Wolfger zu befürchten hatte.
    »Oh, ich bin den Umgang mit Bischöfen gewohnt«, sagte er beruhigend. »Seine Gnaden plant gerade einen neuen Dom in Köln, und so hat der Erzbischof wiederholt große Vorhaben mit Gerhard besprochen. Auch Constantin besucht ihn ständig. Deswegen … nun, das tut nichts zur Sache. Sag mir, wie bist du Magistra bei einer Byzantinerin geworden?«
    »Ich weiß nicht, ob ich wirklich ihre Magistra bin oder sein möchte«, sagte Judith; es tat gut, dies laut auszusprechen. Ehe ihr Onkel sie fragen konnte, was sie damit meinte, hörten sie Schritte, und wenig später tauchte Walther auf, ein Buch in Händen, bei dem es sich mutmaßlich um die Psalmen handelte.
    »Der Kaufmann Stefan aus Köln«, sagte sie, ohne etwas von ihrer Verwandtschaft zu erwähnen. Walther schenkte ihrem Onkel nicht mehr als einen knappen Gruß; er war in Gedanken offensichtlich mit etwas ganz anderem beschäftigt.
    »Magistra«, sagte er, »auf ein Wort.«
    Nun war es Stefan, der die Stirn runzelte, wie einst Vetter Salomon. »Seid Ihr …«
    »Herr Walther ist ein Sänger und wird Euch gerne zum Bischof führen«, sagte Judith hastig, doch dieser Versuch, gleichzeitig um eine Erklärung und ein Gespräch mit Walther herumzukommen, fiel auf dürren Boden und fruchtete nicht.
    »Erst muss ich mit Euch unter vier Augen sprechen, Magistra.«
    »Seid Ihr mit der Magistra verlobt?«, fragte ihr Onkel mit mehr Nachdruck.
    »Herr Walther leidet an stetem Durchfall«, sagte Judith, weil das Letzte, was sie sich wünschte, eine Auseinandersetzung zwischen ihrem Onkel und Walther war. Nichts, was dabei offenbart werden konnte, würde jemandem nutzen; im Gegenteil, es würde nur Schaden anrichten und verletzen. »Das ist nicht gut in seinem Gewerbe, also mische ich ihm jeden Abend einen Trank dagegen. Vielleicht empfängt der Bischof dich jetzt, gehe einfach im nächsten Gang bis zur zweiten Tür rechts. Ich werde derweilen mit Herrn Walther die Küche besuchen.«
    Die meisten Männer hätten sich wegen der Natur dieser Ausrede in ihrer Würde gekränkt gefühlt,

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