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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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zurückgekommen wärst, hättest du selbst mit dem Bischof sprechen können.«
    Ich spürte plötzlich Tränen in den Augen, Tränen der Enttäuschung über das Ende des heutigen Tages, über die Umstände, unter denen ich meine Tochter wiedergefunden hatte, Tränen des Mitgefühls ob der hartnäckigen Senilität des alten Mannes vor mir und seines bedingungslosen Vertrauens darin, dass ich am Ende alles richten würde, Tränen der Trauer darüber, dass es wirklich keine Möglichkeit mehr für mich gab, mit Bischof Peter zu sprechen. Wir waren für immer getrennt, und wenn ich es vor meiner Rückkehr noch nicht geglaubt hatte, dann hatte sein beklemmendes Grabmal es mir ein für alle Mal bewiesen. Doch vor allem waren es Tränen des Selbstmitleids, die ich spürte, und ich schluckte sie wütend hinunter. Sie brannten in meinem Hals wie Feuer.
    »Gute Nacht«, flüsterte ich und rannte fast davon.
    Ich stand am Fenster meiner Kammer und sah auf die Stadt hinunter. Weit jenseits der dunklen Bauten mit ihren kleinen ölfeuerhellen Pünktchen an Mauern und Gassenecken schimmerte die Wertach, ein ungewisses helles Band inmitten der dunklen Gebüschlandschaft, die ihre Ufer säumte. Die Lage des Gräberfeldes war nicht erkennbar.
    Ich dachte an Maria und daran, dass sie nun entweder den heimlichen Weg ihrer Gesinnungsgenossen in die Stadt zurücknehmen musste oder die Nacht vor den Mauern verbrachte. Wahrscheinlich war sie die Gestalt gewesen, die ich zu sehen geglaubt hatte, als ich in der Pfahlsiedlung wieder auf die Straße zum Gögginger Tor eingebogen war.
    Sie war mit den Schatten der Siedlung der Pfahlbürger verschmolzen, als gehörte sie dazu. Und ich fragte mich, weshalb ich mich noch länger gegen den Gedanken sträubte, dass dem auch tatsächlich so war.
    Vor den Mauern einer Stadt bricht sich nicht nur die Flut, die Treibgut von draußen anschwemmt. Hin und wieder geht auch etwas über die Mauern, das schon darin war, und gesellt sich zu den Hoffenden und den Hoffnungslosen. Ich schüttelte den Kopf und seufzte.
    Etwas in der Nähe meines Betts knackte, und aus alter Gewohnheit blickte ich mich um, ob ich Jana geweckt hatte, doch mein Bett war leer. Stattdessen meinte ich Bischof Peter im Schatten neben dem Bettvorhang stehen zu sehen.
    Ich wusste, dass er nicht wirklich dort stand, nicht einmal in der Scheinwirklichkeit, in der Albert Klotz ihm begegnet war. Dennoch war er dort in der Gestalt, wie ihn sein Kenotaph zeigte, ein grausteinernes Skelett, nur für einen Moment. Dann war wieder nichts als das Spiel von Licht und Dunkelheit in der Ecke des Raums.
    Vom Dom begann die Glocke zur Mitternachtsmesse zu schlagen, und als sie endlich verstummte, blieb ein leiser Nachhall, ähnlich einer menschlichen Stimme, die eine Beschwörung sang.
    Was ich von dir verlange, das tue sogleich.
    Ich sah wieder zum Fenster hinaus und betrachtete die Spiegelung meines Gesichts in den dicken Glasscheiben. Bischof Peter war Alberts Gespenst, nicht meines. Ich hatte meine eigenen Gespenster.
    Und es wurde Zeit, dass ich mich ein paar von ihnen stellte.



CASTOR UND POLLUX

1.
    An einem frühen Vormittag im Frühjahr 1451 entfernte sich ein Kaufmann kurz vor dem Erreichen der Stadt von seinem Treck, um an der Wertach Wasser zu lassen. Auf der Suche nach einem ungestörten Plätzchen stolperte er am Ufer herum und achtete mehr auf die Flößer in der Mitte des Flusses als auf seine Schritte. Plötzlich trat er auf etwas, das sich nicht wie ein Stein oder wie ein Moospolster anfühlte. Als er nach unten sah, erkannte er, dass er auf eine weiße Hand getreten war, deren Finger sich schwach um seine Stiefelspitze gebogen hatten. Vor Schreck verlor er sein Wasser, jedoch nicht in die Wertach. Dann jagte er zurück zu seinen Leuten und brüllte wie ein Verrückter. Dabei hatte er nicht einmal den gesamten Körper gesehen, zu dem die Hand gehörte und der in ein dichtes Gestrüpp geworfen worden war.
    Es war der Körper einer jungen Frau, und er lag noch nicht lange genug dort, dass das Blut schwarz geworden wäre. Hätte der Kaufmann sich die Zeit genommen zu sehen, was der Mörder der jungen Frau angetan hatte, hätte er noch mehr Grund gehabt zu brüllen.
    Der Stadtvogt, die Räte und auch Bischof Peter trafen mit dem Läuten der Mittagsglocke am Fundort der Leiche ein. Bischof Peter war vor kurzem als neu ernannter Kardinal aus Rom zurückgekommen, nachdem er zehn Monate dort verbracht hatte, und er hatte nach seiner Rückkehr

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