Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
wissen, dass die Kutsche leer war. Das Quietschen, das ich gehört hatte, war die Angel des Türverschlags gewesen und nicht das Gewicht eines Körpers, der sich auf dem Lederpolster anders hinsetzt.
Ich hatte meine Tochter erneut verloren.
7.
»Was hast du gefunden in den alten Heidengräbern?«, fragte Albert, nachdem wir das Tor passiert hatten und auf dem Weg zum Fronhof waren. Die Kutsche ratterte auf dem nächtlich leeren Pflaster wie der Schinderkarren, wenn er zum Galgen fährt.
»Die Grubenleute«, sagte ich. Er riss die Augen auf.
»Sie sind keine Gefahr mehr für die Stadt. Nur noch für sich selbst.« Ich war nicht geneigt, in meiner düsteren Stimmung mehr zu sagen, und er fragte auch nicht weiter. Wir legten eine lange Strecke schweigend zurück: vorbei an Sankt Anna, vorbei am Haus der Brüder Fugger (in dem Fensterchen, das in den schmalen Durchstich blickte, flackerte das Licht einer Kerze – Jakob Fugger, der die schlaflose Nacht vor seiner Abreise nach Italien zur Arbeit nutzte), über den Gansmarkt. Das Kutschpferd wurde langsamer, als es die Steigung beim Milchmarkt in Angriff nahm; das Rattern der Kutschräder wurde leiser und das Klopfen der Pferdehufe nahm an Lautstärke zu.
»Ich kann mich nicht mehr an deine Tochter erinnern«, erklärte Alfred schließlich und mit einem Ton des Bedauerns. »Bist du sicher, dass ich sie neben mir auf der Kutsche fahren ließ?«
»Wer kann sich schon bei der Erinnerung an seine Kinder sicher sein?«
»Wenn ich nicht gewesen wäre, wäre sie nicht davongelaufen.«
»Vergiss es, Albert.« Ich meinte es nicht so, wie ich es sagte, aber was nutzte es, den alten Mann zu beschimpfen? »Ich habsie zweimal gefunden, ich finde sie auch ein drittes Mal wieder.«
»Haben die Grubenleute sie gefangen gehalten?«
»Die einzige Falle, in der sie sich befindet, hat sie sich selbst gestellt.«
Er schnaubte. »Bub, was immer mit deiner Tochter nicht stimmt: Du hast keinen geringen Anteil daran.«
Ich hätte beinahe mein Pferd gezügelt und mich zu ihm umgewandt, um doch noch über ihn herzufallen. Aber ich hielt mich in letzter Sekunde zurück, auch wenn meine Fäuste um die Zügel so verkrampft waren, dass ich sie kaum wieder öffnen konnte. Noch einmal: Was nutzte es, mein Mütchen an Albert Klotz zu kühlen? Es verhielt sich mit ihm, wie es sich mit Maria verhielt. Wenn er einen Fehler gemacht hatte, dann war es meine Schuld; ich hätte mich von Anfang an nicht auf ihn verlassen dürfen.
Weiter oben am Ende der steilen Johannisgasse sah ich den Lichtschimmer der Fackeln, die an der Häuserzeile der Domherren staken und die ganze Nacht am Brennen gehalten wurden. Ich fragte mich müßig, wie es Gregor in der Auseinandersetzung mit Doktor Andreas ergangen und ob er einmal mehr die Nerven verloren und herumgeschrien hatte.
Der Durchgang unter dem Burggrafenturm war der einzige, der zu dieser späten Stunde noch offen gehalten wurde. Die Wache verbeugte sich ehrerbietig vor dem Wappen Bischof Johanns und spähte neugierig, ob sich ihr Herr selbst in der Kutsche befand. Wir brachten die Kutsche zurück, versorgten die Pferde und trotteten nebeneinander her zum Haupteingang des Palastes.
»Der Bischof war wirklich bei mir in der Kutsche«, sagte Albert.
»Du hast geträumt.«
»Ich weiß sehr gut, wann ich träume und wann ich wach bin.«
»Schon gut, Albert.«
»Als du noch hier gelebt hast, war alles in Ordnung. DerBischof. Die Stadt. Selbst Gregor von Weiden, der aufgeblasene Kerl.«
»Das war es nicht. Es gab ebenso viele Schatten wie heute.«
»Aber zusammen ließen sie sich leichter ertragen.«
Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich am Ende der Treppe ab, um zu meiner Schlafkammer zu gelangen. »Gute Nacht, Albert.«
»Wovon hat der Bischof gesprochen?«, rief er mir hinterher. »Was suchst du schon so lange, Bub? Kannst du es hier nicht finden in deiner Heimatstadt?« Er hastete mir nach und fasste mich am Arm. Ich sah in sein Gesicht hinunter, das von den Ölfeuern an den Gangecken vage erleuchtet wurde, auf seine buschigen, gesträubten Augenbrauen und das weiße Haar, das um seinen Kopf stand wie der Schopf eines besonders zerzausten Stängel Wollgrases. Seine Augen waren voller Zutrauen.
»Meine Enkelin wäre doch keine schlechte Partie. Sie bringt nicht viel Geld mit und hat auch keinen reichen Pfeffersack zum Vater, aber sie stammt aus einer ehrlichen Familie und ...«
»Gute Nacht, Albert.«
»Wenn du nur ein wenig eher
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