Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
selbst besitzt.«
»Ich habe ...«
Sie begann wieder zu singen. Ich ließ mich auf dem Kutschbock zurücksinken. Es gab nichts, womit ich ihre Aufmerksamkeit lange genug fesseln konnte, um auch ihren Geist zu binden und ihn auf die Seite zu holen, auf der ich mich befand. Ich wischte mir ungeduldig über die Augen. Wer hatte gedacht, dass es einfach sein würde? Ich war nicht nur hergekommen, um mit ihr über meine Verwicklung in den Tod ihres Mannes zu sprechen. Ich war gekommen, um meine Familie wieder zu vereinen. Ich war gekommen, um das zu tun, was nach Elisabeth Klotz unmöglich war: eine alte Sünde ungeschehen zu machen.
Die Abbiegung zum Tümpel war schneller erreicht, als mir lieb war. Ich zerrte am Zügel, und das Kutschpferd machte eine Wendung, die fast zu scharf war und die Kutsche ins Schwanken brachte. Maria hörte mit ihrem Singsang auf.
»Alles in Ordnung«, sagte ich rau.
Alfred war nicht in den Tümpel gefallen; er stand auch nicht davor und starrte hinein wie Narziss, die Welt um sich herum vergessen. Eine dunkle kleine Gestalt mit einem langen Schwanz huschte lautlos in die Schwärze der Häuser undveranlasste das Kutschpferd zu einem erschrockenen Schnauben. Ich lenkte einmal um den Tümpel herum und wieder zurück zur Straße.
»Ich nehme an, du hast meine Briefe gelesen, die ich dir aus Florenz geschickt habe«, sagte ich. Maria antwortete nichts darauf, was immerhin besser war als der leiernde Gesang. Ich wusste, dass meine Worte ein schlechter Anfang waren für das, was ich ihr sagen wollte. Zudem war es der Weg des Feiglings, mit ihr darüber zu sprechen, wie ihr Mann zu Tode gekommen war, während ich auf dem Kutschbock saß und ich ihr nicht in die Augen blicken musste. Ich betrat diesen Weg dennoch und mit einer Erleichterung, die mindestens ebenso groß war wie meine Scham.
»Ich habe dir niemals geschrieben, wer wirklich dafür verantwortlich war, dass er verhaftet wurde und ... dass er umgekommen ist. Das war ein Fehler; ich weiß das. Ein Fehler auf meinem Konto, habe ich Recht?« Sie antwortete immer noch nicht. Ich hörte das Quietschen der Polsterung, als sie sich anders setzte, und nahm an, dass sie sich vorgebeugt hatte, um mich besser zu verstehen. Mein Mund war trocken. Ich schluckte.
»Als du davon gesprochen hast, dass die Familie Hoechstetter schuld daran sei... gestern, auf dem Friedhof von Sankt Ulrich, da erkannte ich, dass es falsch gewesen war, dir nicht gleich die Wahrheit zu schreiben. Aber ich wollte es dir persönlich sagen. Es gibt Dinge, die man einem Brief nicht anvertraut, Dinge, die man nur selbst überbringen kann ...«
Ich schwafelte, und ich wusste, dass ich es tat, um nicht zum Kern zu kommen. Wir erreichten die Straße wieder, und ich lenkte die Kutsche etwas sanfter um die Kurve als vorher. Für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, eine Gestalt stünde im Schutz eines vorspringenden Daches und starrte zu mir herüber. Unwillkürlich zog ich die Zügel an und fühlte, wie mir ein Schauer über den Rücken lief. Doch bei genauerem Hinsehen war dort nichts, oder nichts mehr. Wenn sich dort ein Mensch verborgen gehalten und zu uns herübergeschauthatte, dann hatte er sich jetzt abgewandt und war zurück in die Schattenlandschaft der Pfahlsiedlung geschlüpft.
»Maria, bevor ich anfange, solltest du wissen, dass Jana und ich ein Kind erwarten. Es ist nicht unser eigenes, und wie es dazu gekommen ist, will ich dir gern erzählen, aber es hat nichts mit dem zu tun, was ich dir jetzt erklären muss. Ich sage es nur, damit du weißt, wie weit Jana mich wieder zum Leben zurückgebracht hat und was sie mir bedeutet, und das ist etwas, das du wissen musst, denn alles, was ich in Florenz getan habe, diente dazu, ihr Leben zu retten.«
Ich seufzte. Die Briefe an Maria zu schreiben war damals die Hölle gewesen. Doch verglichen mit der Situation, in der ich mich jetzt befand, sehnte ich die Stube im Fondaco dei Tedeschi in Florenz, in der ich sie verfasst hatte, geradezu herbei.
»Dein Mann«, sagte ich, »hat versucht ... nein, ich fange noch mal anders an ...«
O Gott, wie ich es hasste, dass ich es sagen musste.
»Maria, ich habe deinen Mann an den Galgen geliefert.«
Da war es heraus. Ich fühlte mich nicht leichter. Tatsächlich fühlte ich mich so, dass ich mich am liebsten über den Kutschbock gebeugt und mich übergeben hätte. Ich sah das ungläubige Entsetzen in den Augen meines Schwiegersohnes wieder, als ich ihn ans Messer
Weitere Kostenlose Bücher