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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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noch gedämpfter als vorher. Wenn sich etwas geändert hatte, dann nur, dass jetzt Grüppchen zusammenstanden, wo man sich zuvor misstrauisch beäugt hatte, und verkniffene Münder besprachen flüsternd, wovon man gerade Augenzeuge geworden war. Ich sah weitere Kreuzzeichen, die mit fliegenden Händen auf Stirnen, Kinne und Oberkörper gemalt wurden. Meine Gedanken wanderten zu Jana; ich fühlte auf einmal eine vage Erleichterung darüber, dass sie meinem Drängen nicht nachgegeben hatte, mit mir zusammen diesen Abstecher nach Augsburg zu unternehmen.
    »Er geht um«, flüsterte mir eine Stimme ins Ohr, und ich fuhr herum. Ein blasser älterer Mann sah mich mit flackernden Augen an, die Wangen eingekerbt, das Kinn schlecht rasiert, und während er einen Schritt zurücktrat wie eine bedrohte Ratte, huschte ein falsches Lächeln auf seine Lippen, ebenso rattenhaft. »Er geht um, und man hört ihn gehen. Aber es sind nicht seine Schritte, die man hört, nein, es ist das Schlagenseiner schwarzen Flügel, und wenn sie zusammentreffen, verlischt ein Leben wie ein Docht, den man zwischen den Fingern zerdrückt.« Er lachte raschelnd, als versuche er, das Geräusch zweier zusammenschlagender Flügel nachzuahmen. Ich starrte ihn mit trockenem Mund an.
    »Hüten Sie sich, denn er ist unter uns«, sagte der Mann mit einer Miene, die nun wohl Besorgnis ausdrücken sollte. »Der Würgeengel, Herr, denn niemand anderer ist es. Sein Haar ist schwarz, sein Gesicht ist weiß, seine Augen brennen, sein Gewand hat die Farbe der Mitternacht, und seine Flügel sind wie die eines Raben. Er ist unter uns, und die auf seiner Liste stehen, holt er sich. Der Tod ist nur ein Flügelschlag«, er klatschte in die Hände, und ich zuckte unwillkürlich zusammen. »Talisman?«
    Plötzlich hielt er ein geflochtenes Etwas in die Höhe, eine grobe Form, von noch gröberen Fingern aus Stroh geflochten, und ließ es in meine Handfläche fallen. Es war ein Dreieck, in das Kreise eingearbeitet waren, kunstlos gemacht, kaum erkennbar, in seiner verzerrten Gestalt umso erschreckender. Ich riss die Hand zurück, als hätte es mich verbrannt. Der Talisman fiel auf den Boden.
    »Er ist aus dem Kreis geboren«, flüsterte der alte Mann, »und dahin will er zurück, und doch ist der Kreis das Einzige, das uns vor ihm schützt. Auch der Engel des Todes muss sich der Ironie der alten Gesetze beugen. Ist das nicht erheiternd?«
    Er bückte sich und hob seine Ware auf, nur ein verkommener alter Kerl, der versuchte, mit der Angst ein Geschäft zu machen, doch als er wieder zu lachen begann, hörte ich den Flügelschlag des Todesengels und nicht die matte Stimme eines Bettlers, der dem Tod selbst viel näher stand als ich.
    Ich beschwöre euch, Unholde und Dämonen ...
    Die sonnenbeschienenen Fassaden der Häuser waren zu hell, ihre Schattenseiten zu dunkel, und das Krächzen der Raben, die endlos über dem Platz zirkelten, zu laut. Ihr Schreien und das Lachen des alten Mannes schienen plötzlich das Einzige zu sein, was zu hören war.
    Ich dachte wieder an den Toten im Hoechstetterhaus und an einen anderen Toten, viele Jahre zuvor. Ich machte kehrt und floh fast in Richtung des Bischofspalastes.
     
    Der Dom, der Bischofspalast, seine Wirtschafts- und Wohngebäude und die staubigen Flächen dazwischen, die für Rennen über die Planken benutzt wurden, bildeten ein eigenes Viertel, fast so etwas wie eine Festung innerhalb der Stadtgrenzen: den Fronhof. Der Burggrafenturm erhob sich wie eine trotzig geballte Faust am westlichen Ende der Häuserreihe, in der die Domherren wohnten. Ich ignorierte die Bettler, die unter den Torbögen kauerten und die Hände ausstreckten, und stieg die Treppe empor auf der Suche nach Gregor. Der Turm wirkte seltsam verlassen, als habe sich seit Wochen niemand mehr darin aufgehalten. Er hatte zwei Stockwerke, das obere bereits unter der Dachneigung, und beide Stockwerke bestanden aus je einem mittelgroßen Raum: der Lebensbereich des Burggrafen im ersten Geschoss und ein kombinierter Lager-, Archiv- und Trockenraum unter dem Dach. Gregors Raum war niedrig, unregelmäßig erleuchtet von den Sonnenstrahlen, die durch die kleinen Ostfenster fielen und in deren Bahnen Staubpartikel aufleuchteten wie ein verwirrender, tanzender Sternhimmel. Darin standen etliche wuchtige Truhen, eine davon, mit einem hochlehnigen Stuhl davor, offenbar als Schreibtisch verwendet. In dem Stuhl kauerte ein kleines Männchen und rechnete unter Zuhilfenahme seiner

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