Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
Finger und eines Holzbretts mit verschiedenfarbigen Rechenkügelchen Zahlenreihen auf einem Pergament zusammen. Ein Bett war nicht vorhanden. Wie es aussah, hatte Gregor den Bischof dazu überreden können, ihm einen Schlafplatz im Bischofspalast zu genehmigen. Ich erschauerte in der unerwarteten Kühle des Turminneren und räusperte mich. Das Männchen blickte auf und informierte mich demütig, dass der questor für die Dauer der Abwesenheit Seiner Exzellenz Bischof Johanns seinen Wirkungskreis in den Bischofspalast umgesiedelt habe und seine Arbeit von dort aus erledige. Ich bedankte mich und fragte mich gleichzeitig, ob der Bischof davon wusste.
Als ich am Turnierplatz vorbei zum Eingang des Palastes schritt, wärmte die Sonne mich wieder auf. Die große Mittelplanke, die bunte Bemalung zerkratzt und zerstoßen von den metallumhüllten Körpern derjenigen, die von ihren Pferden gestoßen und von der Planke unsanft aufgefangen worden waren, stand zwischen den tief ausgetretenen, staubigen Spurrinnen der Pferdehufe. Ein vertrocknetes Lorbeerkränzchen mit einem Tuchfetzen daran, dessen Farbe die Sonne längst zu einem Nichts gebleicht hatte, lag abseits. Ich stieß es mit dem Fuß an und stellte mir für einen Moment die Enttäuschung der Dame, die es ihrem Favoriten gegeben hatte, vor, als dieser den staubigen Boden küsste statt später – als Sieger – ihren leidenschaftlich geöffneten Mund. Ich ließ das Kränzchen liegen, so wie es der gestürzte Herr hatte liegen lassen, als seine Knappen ihn vom Platz trugen und angesichts der schmerzlichen Flüche aus dem Inneren seiner verbeulten Rüstung die Köpfe einzogen. So wie es dalag, war es ein Zeichen der Lächerlichkeit eines ganzen Standes, der noch in hundert Jahren nicht würde wahrhaben wollen, dass das wahre Leben sich auf den Marktplätzen dieser Welt abspielte und nicht auf den Turnierplätzen. Dann musste ich wieder an das Erlebnis auf dem Brotmarkt vor wenigen Minuten denken, und meine Spottlust verflog.
Im Bischofspalast suchte ich nicht erst nach Gregor. Ich marschierte ohne Verzug zum Arbeitsbereich des Bischofs. Niemand hielt mich auf, bis ich im Vorzimmer zum bischöflichen Arbeitsraum eintraf. Erst die streitenden Männerstimmen, die daraus hervordrangen, ließen mich innehalten.
Ich erkannte Gregors raue Stimme; die andere Stimme war mir unbekannt, doch sie gehörte offensichtlich jemandem, der vor dem Burggrafen nicht den geringsten Respekt hatte. »Mischen Sie sich gefälligst nicht in unsere Angelegenheiten!«, brüllte sie.
»Ich mache die Sache zu meiner Angelegenheit!«, schrie Gregor zurück.
»Das wagen Sie nicht.«
»Wollen Sie mich aufhalten?«
»Was heißt hier aufhalten? Sie sind nur der Burggraf. Ohne unsere Erlaubnis können Sie in der Stadt nicht mal in eine Ecke pinkeln.«
»Ich pisse auf die ganze Stadt, wenn es mir passt!«
Ich hörte ein Scheppern, als habe einer der beiden Streithähne etwas einen Tritt verpasst.
»Gleich nach dem alten Bischof Peter sind Sie der größte Idiot, der mir je begegnet ist. Sehen Sie nicht, wer hier in der Stadt die Macht hat?«
»Verschwinden Sie, bevor ich die Waibel hole und Sie verhaften lasse. Sie sind hier auf dem Territorium der Kirche.«
Die Tür flog auf, und ein Mann stürmte heraus: hochrotes Gesicht, wirres Haar, seine Kleidung eine Mischung aus braunen und schwarzen Stoffen. Um seinen Hals hing eine schmalgliedrige Kette ohne Anhänger, in einer seiner Fäuste zerknüllte er eine schmucklose Kappe. Er stutzte, als er mich sah, drehte sich auf dem Absatz herum und brüllte zu Gregor hinein: »Ich habe mich geirrt, Sie sind ein noch größerer Idiot.«
Ich zog die Augenbrauen hoch und nickte dem Aufgebrachten zu. Er stampfte mit dem Fuß auf und presste sich die Kappe mit einer brüsken Bewegung auf den Kopf. »Was wollen Sie vom Burggrafen?«, schnappte er.
»Nicht, dass es Sie was anginge«, sagte ich ruhig, »aber ich bin ein alter Freund.«
»Das glauben auch nur Sie«, knurrte er, »der Mann hat keine Freunde.«
Ich deutete auf die Kette vor seiner Brust. »Sie sind der procurator civitatis?«
»Noch so ein Schönschwätzer. Hier sprechen wir gemeindeutsch, nicht lateinisch.«
»Was ist denn los?«
»Warum fragen Sie nicht Ihren alten Freund?« Er wandte sich nochmals über die Schulter an Gregor: »Wir werden ja sehen, was Bischof Johann zu alldem sagt.«
Gregor war ihm bis zur Tür gefolgt. »Seine Exzellenz undich befinden sich stets in vollkommener
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