Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
nachgedacht! »Ich wäre mit dir geflohen.«
»Und hättest ungesühnte Morde hinter dir gelassen?«
»Ich hätte nicht zugelassen, dass sie hier an dir gesühnt würden.«
»Aber die Sühne – dafür hättest du gesorgt?« Ich ließ den Kopf hängen. »Ich weiß es nicht«, flüsterte ich.
»Wie war es mit Johann?«
»Ich habe keine Genugtuung dabei empfunden, das kannst du mir glauben.«
»War es so, wie Jana es geschildert hat?«
»Sein Anteil daran, ja.«
»Er hat mir nicht einen einzigen Brief geschrieben, nachdem er ins Gefängnis gekommen war. Er hätte mehrere Wochen Zeit dafür gehabt, bevor ...«
»Vielleicht ließen sie keine Briefe raus. Er hatte sich des schwersten Verbrechens schuldig gemacht, das die Florentiner Behörden kannten.«
Sie schnaubte. »Sein Beichtvater hat mir geschrieben. Diesen Brief haben sie durchaus rausgelassen.«
Ich war erstaunt. Sie zuckte mit den Schultern und zupfte an den Nähten des Kleides.
»Ich habe mir den Brief übersetzen lassen.«
»Hat er dir geholfen?«
»Ich brachte es nicht über mich, ihn zu lesen. Ich habe die Übersetzung verbrannt.« Ich nickte.
»Deine Briefe habe ich gelesen. Was ich letztens zu dir sagte, war gelogen.«
»Ich fürchte, sie waren alle schlecht.«
»Sie haben es nicht vermocht, meinen Hass auf dich zu dämpfen, wenn du das meinst.«
»Und jetzt?«
»Vater, wir können nicht in der Zeit zurückgehen und so tun, als wäre nichts gewesen.«
»Nein, aber wir können einen neuen Anfang machen.«
»Es wird für jeden von uns einen eigenen neuen Anfang geben.«
»Keine Gemeinsamkeit?« Meine Kehle war eng, als ich es aussprach.
»Es hat nichts mit Johann zu tun. Ich verstehe, dass du in dieser Sache nicht anders handeln konntest, auch wenn dieses Verstehen mir nicht dabei hilft, über meinen Schmerz hinwegzukommen. Für uns hätte es aber auch ohne diese Tragödie keinen neuen Anfang gegeben.«
»Wenn wir uns bemühen ...«
»Du hast eine neue Familie. Geh zu ihr.«
»Und du?«
»Es ist zu spät, sich jetzt Sorgen um mich zu machen.«
»Ich bin dein Vater. Ich werde nie aufhören ...«
Sie winkte ab. »Du hast eine zweite Chance bekommen und sie konnte nicht darin bestehen, uns alle wieder zu einer Familie zu vereinen. Das muss dir klar sein.«
»Es geht mir wie dir. Ich verstehe es, aber es hilft mir nicht in meinem Schmerz.«
Sie streckte plötzlich eine Hand aus, legte sie auf meinen Oberarm und ließ sie gleich wieder sinken, bevor ich sie ergreifen konnte.
»Wir sind uns ähnlich, stimmt's, Vater?«
Ich lächelte mühsam. »Du warst mir immer ähnlicher als die anderen beiden.«
Sie lächelte ebenfalls. »Das ist unser Fluch.«
»Maria ...«
»Auf Wiedersehen, Vater. Ich möchte noch ein wenig Abschied nehmen von meinem Mann. Ich muss diese Geschichte beenden, damit ich etwas Neues beginnen kann. So wie du unsere Geschichte für dich beenden musst.«
»Muss es denn endgültig sein?«
»Nichts ist endgültig. Wir gehen auf einer langen Straße ...«
»... mit vielen Kurven, und alles, was wir zuversichtlich sagen können, ist, dass hinter der nächsten Kurve eine weitere kommen wird.«
»Habe ich dich zitiert?«
»Schon möglich. Aber eigentlich waren es Bischof Peters Worte.«
Sie hielt mir die Hand hin. Ich gab noch nicht auf. »Du hast mir das Leben gerettet.«
»Es war das Beste, was ich Johanns Tod entgegensetzen konnte.«
»Jana würde glücklich sein, dich kennen zu lernen.«
»Auf Wiedersehen, Vater.«
Ich schüttelte ihre Hand. Zu einer Umarmung reichte es nicht. Sie wandte sich ab und kniete wieder vor der Grabplatte nieder. Ich blieb ein paar Sekunden stehen. Schließlich ging ich weg.
Sie hatte Auf Wiedersehen gesagt, nicht Lebwohl, doch ich würde klug beraten sein, mich auch daran nicht festzuhalten.
Draußen auf dem Platz warteten Elisabeth und Albert. Elisabeth musterte mich, dann griff sie in ihre Schürze und holte etwas heraus. Sie hielt es mir vor die Nase.
»Was ist das?«
»Ich habe es aus der Küche mitgenommen. Früchtebrot. Iss es.«
»Sie hat es selbst gebacken, Bub«, dröhnte Albert mit vollen Backen. »Tu, was sie sagt.«
Ich biss hinein. Es schmeckte sauer und süß zugleich. Ich kaute und schluckte und sah die lange Gasse hinunter, an deren Ende sich der Domberg erhob. Ich aß, während mir die Tränen die Wangen hinunterliefen und ich Dankbarkeit gegen Elisabeth fühlte, dass sie nichts tat und sagte, sondern nur dastand und darauf wartete, dass ich meine Fassung
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