Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
den der Henker wartet«, zischte Gregor erstickt. Ich zuckte mit den Schultern.
»Wenigstens wird der fünfte Tote in dieser Stadt weder mit gebrochenem Genick in einem abgeschlossenen Zimmer in seinem Haus gefunden werden, noch mit einem halben Dutzend Messerstichen im Bauch. Das ist vorbei.«
»Nein«, rief Gregor mit verzerrtem Gesicht, »der fünfte Tote wird sich bei jedem sanften Lüftchen um sich selber drehen, während die Aasvögel auf seinem Kopf sitzen und auf ihn hinabscheißen.« Er umklammerte den Brief und hielt ihn mir wie eine Anklageschrift entgegen.
Ich gab seinen Blick zurück. »So ist es«, sagte ich.
»Peter!« Er legte die Fackel auf den Altar und streckte die freie Hand nach mir aus. »Du kannst immer noch für mich arbeiten. Vergessen wir das Ganze. Jetzt beginnt eine neue Ära. Nach zwei toten Bürgermeistern wird der Rat Langenmantel zum Teufel jagen. Was taugt ein Stadtvogt, der nicht einmal den wichtigsten Beamten der Stadt beschützen kann? Ich sag dir was: Wenn ich seinen Platz einnehme, werde ich mich schon erkenntlich zeigen.«
Er sah den Brief in seiner Hand an. Plötzlich hielt er ihn an die Fackel. Das Papier loderte auf. Er hielt es an einer Ecke, bis es zu heiß wurde, dann ließ er es zu Boden fallen. Als bis auf ein daumennagelgroßes Stück alles verbrannt war, verlosch das Feuer. Gregor zertrat die Asche. Er hob den Kopf und zwinkerte mir zu.
»Wie damals, oder? Noch einmal decke ich deine Verfehlungen.«
Ich wandte mich ab und ging wortlos in den dunklen Ganghinein, der von der Kammer wieder hinaus ins Freie führte. Ich hielt es für überflüssig, die Fackel mitzunehmen. »Peter?«
Der Gang war schon nach wenigen Schritten so finster, als hätte es niemals Licht gegeben. Mein Nacken prickelte. Ich fühlte Gregors Blick noch, nachdem ich bereits um ein paar Ecken gebogen war.
»Peter! Komm zurück. Was willst du? Ich hab dir doch verziehen!«
In der nächsten Kammer stand Bischof Peter von Schaumberg. Er nickte mir zu.
»Nicht Sie sind zu früh gegangen«, sagte ich zu ihm. »Ich war es.«
Der Bischof verschwand. Er war nie da gewesen.
Gregor heulte weit hinter mir auf. »Lasst mich nur alle im Stich! Ich schaff es auch ohne euch! Ihr könnt es nur nicht ertragen, dass ich derjenige bin, der was zu sagen hat. Hörst du, Peter? Du bist genau wie alle anderen! Du hättest von mir lernen können. Ich hätte dich groß gemacht. Wen hätte ich wohl zum Burggrafen vorgeschlagen, wenn nicht dich? Ich sag dir was ...«
Die nächste Biegung verschluckte den Schall seines Geschreis. Seine Stimme verklang, ohne dass ich sie noch einmal gehört hätte.
Als ich die Kutsche erreichte, war sie leer. Stöhnend kletterte ich auf den Kutschbock. Ich hatte das Gefühl, meine Kopfschmerzen wären größer als mein Kopf, und mein Gesicht fühlte sich in der lauen Luft der Sommernacht geschwollen und heiß an. Albert stolperte aus dem Schatten einer Hütte und fummelte an seiner Schamkapsel herum.
»Rück beiseite, Bub!«, dröhnte er. »Kann man nicht mal ein Stück Erde düngen, ohne dass einem gleich die Arbeit weggenommen wird?«
»Ich dachte, du seist wieder auf die Suche nach Bischof Peter gegangen.«
»Der Bischof ist tot.«
Ich sank auf dem Kutschbock zusammen. Albert warf mir einen Seitenblick zu und trieb dann das Pferd an. Die Kutsche fuhr mit einem Ruck los und schaukelte zwischen den Schattenfeldern der Häuser auf die Straße hinaus. Ich hätte Albert bitten können, mich bei Marias Hütte vorbeizufahren. Ich sagte kein Wort.
»Für die anderen jedenfalls«, fuhr Albert fort. »Für mich nicht.«
»War er wieder in der Kutsche?«, fragte ich nach einer langen Pause.
»Bis grade eben. Dann stieg er aus und ging in das Heidengräberfeld hinein. Er sagte, er will sich von dir verabschieden. Hast du ihn getroffen?«
Ich spürte, wie ein Frostschauer über meinen Rücken lief. So heiß mein Gesicht vorher noch gewesen war, so kalt und klamm fühlte es sich auf einmal an. Alberts laute Altmännerstimme klang von weit weg an meine Ohren.
»Ja, habe ich«, flüsterte ich.
»Hast du gefunden, was du gesucht hast?«
»Ich habe was gefunden, was ich nie finden wollte.«
Albert erwiderte nichts. Nach einiger Zeit nickte er. Wahrscheinlich hatte ihm Bischof Peter das schon lange verraten.
2.
Ich lag tagelang wie tot. Erst am dritten Tag, als ich allein auf den Abtritt gehen konnte, bemerkte ich, dass ich mich nicht im Bischofspalast befand, sondern im Haus von
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