Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
Teufel in Ruhe«, hörte ich mich sagen. Lutz verzog das Gesicht.
»Heb dir das Mitleid für dich selbst auf«, er dachte einen Moment nach und grinste dann: »Arschabwischer.«
Der Knabe setzte sich in Bewegung und wanderte langsam um den Tisch herum. Alle Augen in der Trinkstube folgten ihm. Ich bemerkte, dass er die Hände vor dem Bauch gefaltet hielt, als trage er etwas Kostbares darin. Er blieb bei dem blutüberströmten Mann stehen und gaffte ihn neugierig an, bis dieser mit einem stöhnenden Fluch versuchte, den Knaben zu treten. Danach schlenderte er weiter, mit seinem eckigen, unbeholfenen Gang, der so aussah, als würde er jeden Moment über seine eigenen Füße fallen. Vor dem Feuer in der Kaminöffnung blieb er stehen und sah mit offenem Mund hinein.
Lutz zog die Brauen zusammen und stand plötzlich auf, ohne mich loszulassen. Er zog mich mit sich, und ich hatte keine Wahl, als ihm zu folgen. Er näherte sich dem Jungen vor dem Kamin.
»Was willst du hier, du Trottel?«, sagte er scharf. »Der Wirt gibt dir bestimmt nichts zu trinken. Hau ab, bevor wir deinen Holzkopf als neues Brennmaterial verwenden.«
Der Junge antwortete nicht. Er starrte weiter mit aufgerissenem Mund ins Feuer. Lutz zerrte mich die letzten Schritte mit sich und packte mit der freien Hand den Jungen im Genick. Ich erkannte erstaunt, dass der Schwachsinnige fast ebenso breit und groß war wie Lutz, zweihundert Pfund kompaktes Fleisch, das im Gegensatz zu dem nackten Sprecher derStinglhammer'schen Dienstboten von keinem Arg angetrieben zu werden schien.
Der Junge drehte sich halb um und hob die Hände hoch. Es sah aus, als würde er um Gnade bitten.
Dann machte er eine rasche Handbewegung und schleuderte etwas ins Feuer.
Es knisterte einen winzigen Moment lang, dann schoss wie in einer lautlosen Explosion ein Funkenregen in die Höhe und warf ein paar glimmende Scheite aus dem Kamin heraus. Dichter weißer Qualm wallte so plötzlich auf, als sei die Luft zu Milch geworden. Die Männer im Raum schrieen auf. Lutz zuckte zurück und brüllte, als sich ein Funkenschwarm über seinen nackten Körper ergoss. Er begann mit beiden Händen danach zu schlagen. Ich taumelte zurück, blind im Qualm, und hustete würgend. Lutz' Flüche erstarben in einem ebenfalls qualvollen Husten. Die Bänke stürzten um, als die Männer im Raum durcheinander rannten oder versuchten, zu ihrem Anführer zu gelangen. Der Tisch fiel scheppernd und mit ihm der Weinkrug, den der Wirt gebracht hatte. Ich hörte wilde Flüche und Angstschreie und fiel über einen umgestürzten Bock, als ich rückwärts stolperte. Jemand packte meinen Arm mit der Grobheit eines Bären, und ich schlug in die Richtung, in der ich den Besitzer des Arms vermutete. Lutz sollte mich nicht noch einmal zu fassen kriegen. Meine herumfuchtelnde freie Hand wurde ebenfalls gepackt, dann stellte mich jemand auf die Beine, indem er mir fast die Schultergelenke auskugelte. Ich hörte ein Grunzen und fiel wieder über den Bock, als der Kerl, der mich gepackt hielt, nach vorn zog. Ich folgte dem Zug notgedrungen und versuchte, meine Füße zu entwirren. Eine weitere Hand griff nach meinem Haar ...
Einer der Freunde des Fischs, und Änderlin Rem hatten sie schon gepackt!
... aber ich konnte mich freimachen. Plötzlich spürte ich Treppenstufen und schlug mir die Schienbeine schmerzhaft daran, wurde fast emporgehievt und durch die Tür nach draußen geschleudert. Eine weitere Gestalt griff nach mir, brachtemein Stolpern zum Stillstand und keuchte mir ins Ohr: »Laufen Sie.«
Ich lief, links und rechts festgehalten, in den Nebel hinein. Hinter mir hörte ich, wie die Tür zur Trinkstube erneut aufsprang und ein Knäuel von Männern herausbrach, hustend, fluchend und brüllend. Wir schlugen einen Haken nach rechts in eine Gasse hinein und gleich wieder nach links in eine andere Gasse, rannten weiter zwischen dunklen Hauswänden und folgten dem Knick, den die Gasse beschrieb, hörten, wie das Gebrüll hinter uns erstarb und zurückblieb und blieben keuchend stehen, als sich eine breitere Gasse vor uns öffnete. Wenn mich nicht alles täuschte, standen wir auf dem unteren Graben. Ich vernahm das Plätschern von einem der Lechgräben und weit entfernt durch den Nebel das eintönige Quietschen eines Mühlrades, aber noch lauter vernahm ich das Pochen des Blutes in meinen Ohren. Von Lutz und seinen Männern war nichts zu hören.
Ich sah mich zu meinen Rettern um. Einer von ihnen war der schwachsinnige
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