Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
Schwung. Seine Fersen prallten auf die Tischkante statt auf die Bank, und die Platte, von niemandem gehalten, schnappte auf der anderen Seite hoch und warf ihn nach vorn. Er landete mit den Knien auf der Bank und stürzte sofort vornüber, versuchte noch etwas an seinem Fall zu korrigieren und stieß sich dadurch nur noch mehr nach vorn, wollte sich noch auf den Rücken drehen und schaffte es nicht und klatschte mit der ganzen Länge seines Körpers in die Scherbenbahn. Sein Kinn schlug hart gegen den Boden, und wenigstens so weit war sein Geschick ihm gnädig, dass er darüber das Bewusstsein verlor. Er rutschte noch eine halbe Mannslänge über den Boden und blieb dann liegen, die Hände hinter dem Rücken gefesselt wie ein Gehängter, den man vom Strick genommen und zu Boden hat fallen lassen.
Nach einer Schrecksekunde stürzten die Wettenden beider Fraktionen zu ihm hinüber und traten vorsichtig in die Scherben, um ihn aufzuheben. Wo er gelegen war, war der Boden frei; die gezackten Tonscherben steckten allesamt in seinem Fleisch. Das Blut begann bereits hervorzusickern.
»Zieht sie ihm raus, solange er noch ohnmächtig ist«, sagte Lutz teilnahmslos. Dann raffte er von den Münzen auf dem Tisch die Menge zusammen, die seinem Gewinn entsprach, und bückte sich nach der Börse des Verlierers. Er ließ das Geld achtlos hineinrollen, erstaunt beobachtet von den Männern. »Er wird eine Weile nicht arbeiten können«, erklärte er, »sein Weib und seine Bälger sollen nicht verhungern.«
Die Männer brachen in spontanen Beifall aus, und Lutz grinste über das ganze Gesicht, ein teuflischer Wohltäter, ein heimtückischer guter Samariter, der mir nur einen funkelnden Blick zuzuwerfen brauchte, um mich wissen zu lassen, dass alles eine Pose war und er von vornherein nur gespielt hatte, um mir am Beispiel seines blutig geschlagenen Gegners zu zeigen, was für ein Schicksal mich bestenfalls erwartete, wenn ich ihm in die Quere kam.
»Vielleicht will einer der Herren noch was drauflegen für den armen Teufel und seine Familie?«, rief Lutz in meine Richtung. Er lachte roh, seine Kleider in der Hand.
Ich nahm eine Hand voll Münzen und legte sie auf den Tisch, und Lutz' Speichellecker dienerte heran und schob es in seine Handfläche. Ich beachtete ihn nicht. Ich gab Lutz' Blick zurück und sah, wie er zu grinsen anfing, als ihm klar wurde, dass ich den Augenkontakt nicht lösen würde. Er begann zu lachen und schüttelte den Kopf; dann wurde er übergangslos ernst, ließ seine Kleider fallen und schlenderte barfuß zu mir herüber. Sein Gegner kam wieder zu Bewusstsein und musste von mehreren Männern festgehalten werden, während man ihm die Scherben aus dem Fleisch zog, und kaum einer von ihnen achtete auf uns. Der Wirt kam mit säuerlichem Gesicht und einem Krug Wein, den er auf die wieder aufgerichtete Tischplatte stellte, und begann dann mit einem Besen die Scherben zusammenzukehren. Lutz setzte sich neben mich, seine halbe Nacktheit noch immer als Provokation einsetzend. Wenigstens war seine Erektion abgeklungen. Er roch nach Schweiß und Ziegenbock, und ich versuchte nicht zu schlucken oder zu blinzeln und fühlte mich wie der kleine Junge, der zum Flussufer hinaufgesehen hatte, an dem die mordlüsterne Gestalt des Fischs stand und auf mich herunterstarrte.
13.
»Wie geht es Herrn Hoechstetter?«, fragte Lutz. »Ich nehme an, wie immer.«
»Oder sollte ich fragen: wie geht es dem Bischof, in Stein gehauen auf seinem Grabmal und auf ewig von den Würmern gefressen?«
Ich seufzte. Mir war nun klar, weshalb mein Inkognito als Untersuchungsbeamter von Ulrich Hoechstetter schon geplatzt war: Konrad Hurlocher, der Verächter des Dienstbotengesindels, hatte sich herabgelassen, ein wenig über die beiden seltsamen Männer von gestern und ihre noch seltsameren Fragen zu klatschen. Ich ohrfeigte mich im Stillen dafür, den pompösen Ausdruck vom »Bluthund des Bischofs« für mich selbst gebraucht zu haben.
»Was glauben Sie, wird man jemals herausfinden, wer Ludwig Stinglhammer umgebracht hat?«
»Es gibt noch einen zweiten Toten«, erinnerte ich.
Lutz winkte ab.
»Was haben Sie mit dem Burggrafen zu tun?«
»Er hat mich um Hilfe gebeten.«
»Derselbe Stallgeruch, was? Zwei Hunde aus einem Zwinger.«
Konrad Hurlocher schien meine Worte tatsächlich vollständig wiedergegeben zu haben. Lutz sah mich lauernd an.
»Wo warst du in der Nacht, als Ludwig Stinglhammer ermordet wurde?«, fragte ich der Form halber.
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