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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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hüben und drüben an die Bänke und hielten sie fest. Das Geschrei verstummte. Lutz stand auf der Bank wie ein griechischer Gott, dessen Leibesmitte der Bildhauer verunziert hat, und fixierte die Bank jenseits des Tisches, zu der er hinüberspringen wollte. Sein Gesicht war angespannt und sein Mund zu einem Grinsen verzogen, das zu viele Zähne zeigte. Er ging ein paar Mal zur Probe in die Knie und federte auf den Zehenspitzen. Dann war er so weit. Er holte Atem und stieß ihn wieder aus. Lutz' Gegner betrachtete jede Bewegung des Mannes auf der Bank mit Adleraugen. Lutz ging tief in die Hocke. Ich konnte seine Gelenke knacken hören, so leise war es in der Trinkstube. Lutz rollte seine Schultern und atmete nochmals tief ein.
    Im nächsten Augenblick flog er wie ein schwerer Schatten über den Tisch, warf seinen Oberkörper nach vorn, als wollte er einen spektakulären Kopfsprung in den Fluss vollführen, zog die Beine an den Leib und stieß sie nach vorn und prallte mit ihnen auf die gegenüberliegende Bank; wurde vom eigenen Schwung nach vorn gerissen und ließ seinen Hintern nach unten fallen, um ein Gegengewicht dazu zu haben; taumelte mit seinen gefesselten Füßen die Handbreit, die die Bank ihm erlaubte, weiter; beugte sich weit nach vorn über das drohende Scherbenfeld, das auf ihn wartete. Die Zuschauer seufzten auf. Einen lähmenden Moment lang schwebte Lutz auf der Kante der Bank, den Hintern nach unten weggestreckt und den Hals so lang wie ein Hahn; die Bank wackelte, obwohl die Helfer sie fest im Griff hatten, und Lutz keuchte; dann stand er rasch auf und verwandelte den noch immer vorhandenen Schwung der Vorwärtsbewegung in einen kleinen Sprung zur Decke; und stand danach wie festgemauert auf der Bank. Sein Glied ragte soprall und fleischig unter seinem Wanst nach vorn, dass es seiner akrobatischen Meisterleistung eine obszöne Krone aufsetzte. Sein ganzer Körper schimmerte plötzlich, als der Schweiß aus allen Poren brach.
    Die Zuschauer schrieen und pfiffen, seine eigene Fraktion ebenso wie die seines Gegners, und er wartete geduldig, bis man seine Hand- und Fußfesseln gelöst hatte, dann stieg er von der Bank herab und stolzierte um den Tisch herum. Diesmal geruhte er, mich lange anzusehen, und sein Blick ließ mich nicht los, bis er sich zu seinen Kleidern bücken musste. Ich wusste: Auch diese Vorstellung war nicht eigentlich wegen des Wetteinsatzes aufgeführt worden, sondern um mich zu beeindrucken.
    Lutz' Gegner kletterte ebenfalls auf die Bank, während die Burschen, die die Absprung- und die Landebank festhielten, durch zwei Männer aus seiner eigenen Fraktion abgelöst wurden. Ich sah, dass er zweifelte, und es war dieser Zweifel, der ihn scheitern lassen würde. Eigentlich hatte er die besseren Voraussetzungen: Er war schmaler und leichter und sicher wendiger als der bullige Lutz; doch Lutz war davon überzeugt gewesen, dass er es schaffen würde, und es ist die Überzeugung, die gewinnt, nicht das Fleisch, in dem sie steckt. Lutz' Gegner trat auf der Bank hin und her, nachdem er gefesselt worden war, und geriet beinahe ins Taumeln, als er die Schrittlänge, die er noch zur Verfügung hatte, falsch kalkulierte. Sein Blick war starr, und der Schweiß stand ihm schon jetzt auf dem Gesicht.
    »Wenn du jetzt aufgibst, denkt keiner schlecht von dir«, sagte Lutz und grinste gönnerhaft. Er wusste genau, dass er seinen Gegner damit nur noch mehr trieb, das absurde Kunststück ebenfalls zu versuchen. Ich sah, dass alle möglichen Gedanken durch dessen Gehirn gingen, und keiner davon befasste sich mit der Aufgabe, die vor ihm lag: Er dachte an die Scherben und wie schmerzhaft es wohl sein würde, darin zu landen; er dachte an die Möglichkeit, sich zusätzlich zu den Schnittwunden etwas zu brechen; er dachte daran, dass sein Brot von der Gesundheit seiner Glieder abhing und dass er nicht würde arbeiten können,solange seine Knochen gebrochen oder seine Haut aufgeschlitzt war, und dass nicht zu arbeiten nicht essen hieß, für ihn und seine Frau und seine Kinder und vielleicht noch den alten Vater oder die alte Mutter, die an seinem Rockzipfel hingen. Er fragte sich, wie er dort hinaufgekommen war und warum er nicht fünf Minuten vorher genügend Verstand besessen hatte, die Aufforderung zum Sprung zu ignorieren. Dann spannte er seine Muskeln und sprang.
    Er sprang zu hoch und brachte dadurch die erforderliche Weite nicht zustande. Er streckte die Beine zu früh nach vorn und verlor dadurch an

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