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Das Spiel des Saengers Historischer Roman

Titel: Das Spiel des Saengers Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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das meist schmutzige Gesicht. Er kannte wenig von der großen Welt und war es zufrieden, tagaus, tagein seiner Wege zu gehen. Seine Pflichten waren ihm meist lästig, und wann immer er die Gelegenheit dazu fand, streunte er im Wald umher, lauschte dem Vogelsang, beobachtete die wilden Tiere, und manchmal befreite er sie aus den Fallen der Wilderer, die ihr Unwesen im Forst des Königs trieben. Aber lieber noch schlief er eine Weile im weichen Gras einer kleinen, sonnenbeschienenen Lichtung unter einem Busch von duftenden Heckenrosen und träumte von der großen, weiten Welt und ihren Abenteuern.
    Hier an seinem Lieblingsplatz aber entdeckte er eines Tages einen Waldkater, dessen Pfote in einer Schnappfalle gefangen war. Das wilde Tier fauchte und kreischte, als er sich näherte, doch der Junge öffnete die Falle, obgleich er
gekratzt und gebissen wurde, und der Kater entfloh, wenn auch humpelnd, ins Unterholz.
    »Das wär ein schöner Pelz geworden«, hörte der Bursche eine tiefe, dröhnende Stimme sagen, und als er sich umdrehte, stand ein hochgewachsener, hagerer Alter hinter ihm.
    »Aber er war verletzt«, stammelte er einfältig und rang seine großen, blutigen Hände.
    »Er wird seinen Verletzungen erliegen«, gab ihm der Alte derb zu verstehen.
    Der Simpel reckte trotzig sein Kinn und antwortete: »Lieber aber soll er in Freiheit sterben.« Und als der andere ihn mit einem durchbohrenden Blick maß, fügte er hinzu: »Ihr könnt mir deswegen gerne meinen Pelz gerben, wenn Euch die Falle gehört.«
    »Nein, sie gehört mir nicht. Aber dennoch verlange ich die Antworten auf drei Rätsel von dir. Sind sie richtig, sollst du mit heiler Haut davonkommen.«
    »Fragt, Herr.«
    »Zur Burg kommen manchmal Gäste?«
    »Ja, Herr.«
    »Und sie schmausen an der Tafel?«
    »Ja, Herr.«
    »Und die Bäckerin backt die Pasteten?«
    »Ja, Herr.«
    »Wenn zwei Dutzend Gäste sechsunddreißig Pasteten essen, wie viele muss sie dann backen, wenn nur vierzehn Gäste kommen?«
     
    Hier unterbrach ich meine Erzählung und schaute auffordernd in die Gesichter vor mir. Der Gelehrte, dessen Name mir als Doktor Humbert in Erinnerung geblieben war, zeigte einen ausgesucht dümmlichen Gesichtsausdruck, der feiste Kaplan schlürfte seinen Wein, Ida lächelte, und Sigmund, der Burgvogt, starrte unablässig meine Laute an.
    Ich schlug leise die Saiten und fuhr mit meiner Erzählung fort.

    Der junge Mann im Wald mahlte mit seinen Kiefern, und seine großen Füße scharrten im lockeren Waldboden. Dann stieß er hervor: »Einundzwanzig, Herr.«
    Der Alte nickte und sagte das zweite Rätsel auf:
    »Was ist das für ein Ding?
    Einer, der’s sieht, der begehrt’s nicht.
    Und der’s macht, bedarf’s nicht.
    Und der’s bedarf und braucht, weiß es nicht.«
     
    Wieder entlockte ich den Saiten einen leisen Melodienlauf und blickte in die Menge. Hinter mir hörte ich ein leises Schnauben, das offensichtlich von Ritter Ulrich stammte. Und auf den Plätzen hinten erklang ein kleines Kichern. Der Gelehrte pulte an seinen Fingern herum, der Höfling kratzte sich am Kopf. Und Sigmund, der Burgvogt, starrte meine Laute an.
    Ich schenkte meinen Zuhörern ein strahlendes Lächeln und erzählte weiter:
     
    Diesmal brauchte der Simpel im Wald ein wenig länger, um die Lösung zu finden. Er zupfte an seinem verschlissenen Wams herum, fuhr sich durch die zotteligen Haare und kaute dann an seinem Daumen.
    »Könnt sein, Herr, dass Ihr einen Sarg meint? Weil - den will keiner, der ihn sieht, den braucht der Schreinemaker nicht, der ihn macht, und der Tote weiß es nicht mehr, wenn er drin liegt.«
    Wieder nickte der Alte und gab ihm dann das letzte Rätsel auf:
    »Fünf Brüder sind zur gleichen Zeit geboren,
doch zweien nur erwuchs ein voller Bart,
zwei andern blieb die Wange unbehaart,
dem fünften ist der Bart zur Hälft’ geschoren.«
    Diesmal lachte hinter mir die Äbtissin leise auf. Der Handelsherr van Dyke gab ein verächtliches Prusten von sich, und
Loretta beugte sich so weit vor, dass der Kaplan ihr in den unverhüllten Ausschnitt ihres Kleides blicken konnte. Doch der widerstand der Versuchung und griff zu seinem Pokal. Sigmund, der Burgvogt, starrte noch immer auf meine Laute.
    Ich ließ die Saiten erklingen und wandte mich wieder meinem Helden zu:
     
    Der Junge im Wald zögerte keinen Wimpernschlag lang mit seiner Antwort:
    »Ihr meint die Kelchblätter der Rose, Herr. Es sind ihrer fünf, zwei davon sind auf beiden Seiten gezackt, zwei

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