Das Spiel des Saengers Historischer Roman
können noch ein wenig Rätselraten betreiben, Engelin, aber erst musst du mir jetzt endlich erzählen, was heute Mittag passiert ist. Ich weiß nur noch, dass Loretta mich nach oben brachte, weil mir plötzlich so schwindelig war. Dann warst du auf einmal da und hast mich aus dem Bett gezerrt. Dazwischen hatte ich ein paar ganz komische Träume. Und als ich wieder richtig wach wurde, war es schon Essenszeit.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich eigentlich nicht krank oder so. Nur ein bisschen duselig im Kopf.«
»Nein, du bist nicht krank. Loretta hat dir in ihren komischen Würzwein Laudanum oder etwas Ähnliches gegeben.«
»Heilige Jungfrau Maria, warum denn das? Wollte sie mich vergiften?«
»Nein, nur betäuben. Sie hat dich in Hardos Gemach gebracht, ausgezogen und in sein Bett gesteckt.«
Casta schnappte nach Luft.
»Warum im Namen der Heiligen tat sie das denn?« Sie zerrte sich das Chapel vom Kopf, als würde es sie am Verstehen hindern. »Gott - dann war es kein Traum?«
»Was war kein Traum?«
»Dass ich … dass ich in den Armen eines Mannes lag?«
»Wohl zunächst in Hardos. Aber ich trage es dir nicht nach; er war bewusstlos.«
»Himmel!«, stieß Casta hervor.
»So hast du dich vermutlich gefühlt.« Es klang ein wenig Bitterkeit in Engelins Worten mit, aber ihre Freundin war viel zu fassungslos, um es zu bemerken.
»Ich … ich träumte, es seien Ulrichs Arme …«
»So fand dich deine Mutter vor.«
»Ja, aber …?«
»Hardo hat ihn dazu überredet, als er die Lage erkannte.«
»Hardo? Als Kuppler? Ich kann es nicht glauben. Vor allem kann ich nicht glauben, dass Ulrich dieses Spiel so einfach mitgemacht hat.«
»Nein, die Sache war offensichtlich anders geplant.« Engelin erzählte ihr, wie Hardo sie um Hilfe gebeten hatte, nachdem er den Ritter überredet hatte, sich an seiner Statt unter die Decken zu legen.
»Das ist doch absurd. Das ist doch vollends irrwitzig!«
»Psst, nicht so laut.«
»Ja, du hast ja recht. Aber was sollte das?«
»Denk doch mal nach.«
Und das tat Casta dann auch, während Engelin sich noch einmal die Szene vor Augen führte. Als Hardo sie in sein Gemach geschickt hatte, saß der Ritter bereits auf dem Lager, die Äbtissin und der Stiftsherr redeten in erregtem Tonfall auf ihn ein, der Domgraf kam ebenfalls dazu, blieb aber im Hintergrund. Casta lag mit geschlossenen Augen unter der Decke, die Ulrich ihr bis zum Hals hochgezogen hatte. Er selbst war nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, und zeigte auch nicht den kleinsten Hauch von Verlegenheit. Sie erinnerte sich an seinen muskulösen Leib, die Arme braun, die Brust hell, doch von zahlreichen Narben übersät. Dietrich sammelte wie ein Schatten Kleidungsstücke auf. Er drückte ihr Castas Cotte und den Kittel
in die Hand, den sie zur Küchenarbeit getragen hatte. Mit diesen Sachen war sie um das Bett geschlichen, während der Ritter in leisem, aber ungehaltenem Ton auf die ehrwürdige Mutter einredete und sich dabei von seinem Knappen in die Kleider helfen ließ. Sie selbst hatte versucht, Casta zu wecken, und es gelang ihr auch, sie so weit aus ihrer Benommenheit zu locken, dass sie ihr ebenfalls die Gewänder anziehen konnte. Wortlos hatte der Domgraf ihr dabei geholfen, sie anzuheben. Dann hatte Ulrich die ganze Sippschaft aus dem Gemach gescheucht, Engelin einen dankbaren Blick zugeworfen und die Tür hinter sich mit Nachdruck geschlossen. Engelin hatte eine lange Zeit neben Casta gewacht und sich dabei wieder ihren trüben Betrachtungen hingegeben, die sich um Hardo und sein Verhalten ihr gegenüber rankten. Als er Hilfe brauchte, war sie ihm nützlich, aber jetzt, da alles vorbei war, blieb er wieder einmal verschwunden. Sie grollte und schmollte vor sich hin, bis Casta begann unruhig zu werden und aus den Tiefen ihrer Träume aufzutauchen versuchte. Gemeinsam schafften sie es, die Wendeltreppe nach oben in ihre Kemenate zu bezwingen. Noch immer nicht ganz ansprechbar hatte sich Casta wieder niedergelegt. Erst um die Abendzeit war sie wieder einigermaßen sie selbst, und Engelin überredete sie, so zu tun, als ob nichts geschehen war.
Das Essen und der Wein hatten Casta nun wieder munter gemacht, und auch die kühle Nachtluft schien ihr Denken zu beflügeln.
»Jemand hat Hardo und mich zusammen in sein Bett gelegt und Ulrich in sein Gemach gerufen. Derjenige scheint geglaubt zu haben, Ulrich müsse mich so sehr lieben, dass er seinem Freund deshalb sofort den Dolch ins Herz stößt.
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