Das Spiel des Saengers Historischer Roman
weiß es nicht, Line. Mir hat sie nichts getan, außer dass sie mir mit der üblichen Nichtachtung begegnet ist.« Und dann fiel mir ihr Besuch in der zweiten Nacht ein. »Nun ja, nicht immer …«
»Hardo?« Der sanfte, tröstende Druck auf meinem Arm wich einem schmerzhaften Kneifen.
»Ich bin eben eine Augenweide, mein Lieb«, sagte ich mit einem entschuldigenden Schulterzucken.
»Ich werde Scheuklappen verteilen müssen. Aber du hast recht, sie hat weder ihren Gatten umgebracht - auch wenn sie ihn gehasst hat, sie hat von dem Ränkespiel nichts gewusst - noch versucht, dich zu ermorden. Ihre Unzucht …«
»Ja, darüber mögen andere befinden.«
»Was ist mit dem Kaplan?«
»Was mich anbelangt, nicht schuldig an den Mordversuchen, die mir galten. Doch was den Burgherrn und meinen
Vater betrifft, mitschuldig, vermutlich aber entzieht er sich dem Gericht.«
»Warum lasst Ihr das zu, Hardo?«
Ismael wirkte empört.
»Weil es Strafe genug für ihn ist. Er ist ein Säufer und dem Wein verfallen. Viel Wertvolles kann er nicht mitnehmen, und was immer er bei sich hat, wird ihm auf der Straße und in den Gassen schnell genug abhandenkommen.«
»Aber er hat Freunde in Köln.«
»Es wird sich bald genug herumsprechen, was hier geschehen ist.«
»Du wirfst ihn damit sozusagen den Wölfen zum Fraß vor.«
»So ist es, Line.«
»Dann sollen sie sich über seinen feisten Kadaver hermachen.«
»Das wird bald geschehen sein. Sollte er dennoch überleben, betrachte ich es als Gottesurteil.«
»Einverstanden«, sagte Ismael, der das Leben auf der Straße nur zu gut kannte.
»Verraten haben auch Ida und deine Mutter deinen Vater, Hardo«, sagte Engelin sanft.
Ja, meine Mutter. Ich hatte gesagt, jetzt, da sie gestorben war, möge man ihre Tat vergessen. Doch das konnte ich nicht. Ich würde sie noch lange nicht vergessen. Noch schmerzte sie mich auf eine Weise, als hätte sie mich selbst getroffen. Aber irgendwann würde ich Abstand dazu finden und ihr Handeln als das Ergebnis eines von Aberglauben verwirrten Geistes betrachten können. Als ein erschütterndes Beispiel dafür, wie Menschen aus dem Kerker ihrer Vorstellungen heraus urteilten. Sie hatte die Tatsachen mit eigenen Augen wahrgenommen und gewusst, was die Totenstarre von Eberharts Leichnam aussagte. Aber sie hatte nicht gefragt, sondern die Erklärung hingenommen, er sei eben erst von meinem Vater erstochen worden. Böswillig war sie wahrscheinlich nicht, nur leichtgläubig. Erst in ihrer Todesstunde hatte sie sich
die Frage gestellt, warum Gerwin seinen geliebten Bruder umgebracht haben mochte. Doch nie hatte sie hinterfragt, was der gefallene Stern bedeutete, und die Berechnungen des Astrologen hatte sie als unwandelbare Wahrheit hingenommen. Mein Schicksal war für sie von meinem ersten Atemzug an besiegelt gewesen. Das tat weh, noch immer.
»Meinen Kindern werde ich das Schicksal nicht vorhersagen«, murmelte ich.
»Ich schon. Deine Söhne werden Raufbolde und Weiberhelden sein und sich mit dem Abschaum gemein machen«, sagte Engelin mit einem Grinsen.
»Ja, und Eure Töchter samt und sonders hässliche Kröten und dornige Rosen. Aber Ihr werdet es ihnen nie vorhalten, Hardo«, ergänzte Ismael.
Sie brachten mich zum Lächeln, meine beiden Freunde. Engelin schmiegte sich an mich, und ich fühlte mich getröstet. Dann aber sagte sie: »Ida war gut zu dir und sie dauert dich, aber auch sie hat deinen Vater verraten.«
»Das stimmt. Aber ich darf das Urteil fällen, also darf ich auch Gnade walten lassen.«
»Ja, das darfst du.«
Meine Herrin lächelte mich an, und das war Lohn der guten Tat.
»Dann wollen wir den Ritter nun von unseren Urteilen berichten.«
So geschah es denn auch, und als sich alle wieder im Saal versammelt hatten, fehlte wie erwartet Magister Johannes. Seine Flucht sei überstürzt gewesen, sagten die Wachen.
Ulrich verkündete die Schuldsprüche, so wie ich sie ihm genannt hatte. Lucas van Roide stellte er es frei, sich der Gerichtsbarkeit übergeben zu lassen oder eine Bußfahrt zu geloben. Mir schien, der Höfling hatte noch nie im Leben so schnell eine Entscheidung getroffen.
Dann fügte der Ritter noch hinzu, der Domgraf habe verfügt, dass seine Schwester Margarethe zwar nicht einem
geistlichen Gericht übergeben, dass sie sich aber in eines der abgelegenen Klöster im fernen Preußenland zurückziehen werde. Als einfache Nonne.
Der Stiftsherr von Sankt Gereon hatte sich wohlweislich die ganze Zeit über
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