Das Spiel des Saengers Historischer Roman
Wenn sie wieder, wie in jenen Nächten, heimlich sein Gesicht streicheln würde? Wenn sie sanfte Küsse auf seine Lippen drücken würde?
Ob er sie umfangen würde? An sich ziehen, ihr Hemd zur Seite schieben und ihren bloßen Leib kosen würde? Ihre Finger prickelten, als sie sich vorstellte, seinen harten Körper zu berühren, die Schultern, die breit geworden waren, die festen Muskeln seines Rückens.
Sie wollte ihre Finger in seinen Haaren vergraben, seinen Kopf an ihre bloßen Brüste ziehen, wollte …
Sie hörte sich selbst leise stöhnen.
Schluss damit. Sofort und gründlich Schluss mit derartig unkeuschen Gedanken!
Dass sie sich selbst so streng maßregelte, hatte zur Folge, dass sie nun wirklich hellwach war. Und mit großem Ernst und gestrafften Schultern widmete sie sich den Aufgaben des kommenden Tages.
Da galt es bestimmten Machenschaften einen Riegel vorzuschieben. Auch wenn sie dabei Gefahr lief, Dinge zu verraten, die besser unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit aufgehoben waren. Beispielsweise dem Ansinnen der Äbtissin, dem sie sich widersetzen musste. Ihr Vater könnte ihr dabei helfen, allerdings bestanden da gewisse Schwierigkeiten, die sie sich selbst eingebrockt hatte.
Engelin besaß ein offenes, aufrichtiges Gemüt, und Wissen, das sie nicht freimütig preisgeben durfte, belastete sie. Doch noch unangenehmer war die Vorstellung, dass ihr Vater von der Äbtissin erfahren könnte, dass jene Line seine Tochter war, denn sie hatte ihm zwar erzählt, dass sie einige Monate im Kloster verbracht hatte, nicht aber, wie sie dorthin gelangt war. Hardos Rolle hatte sie in ihrer Beichte bei ihrer Heimkehr wohlweislich ausgespart.
Er würde früher oder später draufkommen.
Eine klare Aussprache wäre jetzt wohl sinnvoll.
Mit ihrem Vater. Oder sollte sie Hardo bitten, nicht weiterzuerzählen?
Eines war so unangenehm wie das andere.
Ein Streifen hellen Lichts tauchte über dem Horizont auf, das Tröpfeln hatte nachgelassen.
Engelin atmete tief durch. Was waren sie und Casta doch für zwei traurige Geschöpfe. Sie quälte sich, weil Hardo sie nicht ernst nahm, und ihre Freundin, weil ihr Ritter sie so überhaupt nicht wahrnehmen wollte.
Vielleicht sollte auch sie den edlen Herrn einfach mal zur Rede stellen?
Na ja, einfach …
Obwohl - da gab es mehr Möglichkeiten als in ihrem Fall. War nicht der Domgraf aus Speyer Castas Onkel und Fürsprecher in Sachen Kunkellehen? Der Mann - er saß
abends mit ihnen an der Tafel - schien ein verständiger Mensch zu sein. Anders als dieser trübsinnige Gelehrte, der immer nur an seinen Fingern herumpulte oder langatmige Monologe zu Sternen und Schicksalen von sich gab. Wen interessierte es schon, ob Saturn alle sieben Jahre Unglück heraufbeschwor oder Mars in dieser oder jener Position Kriege anzettelte?
Der Domgraf hatte sich mit ihrem Vater sehr angeregt unterhalten und verstand wohl eine Menge von der Verwaltung der Kirchengüter und auch einiges vom Handel. Außerdem hatte sie ihn einmal sagen hören, als ihr Vater sich abfällig über fahrende Sänger und ihre abergläubischen Geschichten geäußert hatte, dass man gewisse Leute besser nicht unterschätzen sollte. Sein Seitenblick zum Sänger auf den Stufen hatte ihr verraten, dass er Hardo meinte.
Und den brauchte man zwar nicht zu schätzen, aber man durfte ihn wirklich nicht unterschätzen.
Kurzum, der Domgraf war ein kluger, aber auch freundlicher Mann, und Casta sollte sich ihm vielleicht anvertrauen.
»Casta, ich habe eine Idee. Komm aus den Federn, es wird Tag!«
Die Sünden der Väter
Auch an diesem Morgen verkündete der Ritter der versammelten Gesellschaft nach der Morgenandacht, dass zwei weitere Mitglieder der Gruppe vom Mordverdacht befreit seien. Es erhob sich ein Raunen, und hier und da wurden verstohlene Blicke gewechselt. Hinrich van Dyke grollte, der wohledle Herr Ulrich solle endlich Namen nennen, doch der wies ihn kühl ab, er habe seine Gründe, darüber zu schweigen.
»Unhaltbar, dieser Zustand«, erboste sich auch der Höfling Lucas. »Ich brauche meinen Diener. Lasst ihn ein.«
»Euer Diener bleibt vor dem Tor.«
»Er braucht eine Rasur, der Schönling«, wisperte Ismael.
»Du kannst ihm ja deine Dienste anbieten.«
»Noch nicht mal für einen Batzen Gold. Aber Ihr braucht auch eine.«
Ich fuhr über mein Kinn. Er hatte recht. Drei Tage war mein Bart alt und schwärzte meine Wangen mit seinen Stoppeln.
»Wir werden selbst das Wasser schleppen
Weitere Kostenlose Bücher