Das Spiel des Saengers Historischer Roman
Geht für eine Weile in den Garten, ich komme hier alleine zurecht.«
»Ihr braucht mich nicht zu verzärteln, Ida«, schniefte Engelin und wischte sich die Wangen mit dem Schürzenzipfel ab.
»Nein, das tue ich auch nicht. Vielmehr möchte ich die dumpfe Stimmung aus dieser Küche haben, die ihr verbreitet«, sagte Ida energisch. »Raus mit euch!«
»Komm, Engelin.«
Casta zupfte ihre Freundin am Ärmel und drängte sie nach draußen.
Unwillig trottete sie hinter ihr her in Richtung Durchgang. Auf dem Hof hatten sich Pfützen gebildet, ein paar Spatzen badeten mit aufgeregtem Tschilpen darin und verspritzten das Wasser mit ihren Flügeln. Doch der possierliche Anblick heiterte die beiden Jungfern nicht auf. Auch die ersten Sonnenstrahlen, die die Tröpfchen im Gras des Zwingers glitzern ließen, erhellten nicht ihre Gemüter. Vom Dach des Stalles rann das Wasser in die großen Regentonnen, die Ziegen knabberten genießerisch an den feuchten Halmen, und im Obstgarten zwitscherten die Meisen in den Zweigen aus voller Kehle.
»Du hast nicht geschlafen heute Nacht, deshalb bist du so grantig«, sagte Casta, als sie zwischen den Bäumen entlangschlenderten.
»Du hast auch nicht geschlafen«, entgegnete Engelin trotzig. »Du hast dich ständig hin und her gewälzt.«
»Richtig.«
»Hast du mit deinem Oheim gesprochen?«
»Nein.«
»Warum denn nicht, im Namen der Jungfrau?«
»Wann denn? Hier findet man doch keinen Augenblick Muße. Und so wichtig ist es nicht.«
»Ach, auf einmal ist dir der Ritter nicht mehr wichtig?«
»Nicht so, dass ich mich ihm an den Hals werfe!«
Ja, sie hatten beide schlechte Laune, weil sie körperlich und seelisch erschöpft waren. Weil Engelin das einsah, gab sie ihrer Freundin nicht die harsche Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Später aber würde sie selbst den Domgrafen aufsuchen. Wenigstens etwas, das man tun könnte.
Sie schwiegen.
Und in der Stille hörten sie das gedämpfte Schluchzen.
»Was ist das?«
»Jemand weint.«
Engelin ging in die Richtung des Geräusches. Casta folgte ihr, und so fanden sie, in die Ecke der Wehrmauer gelehnt, die junge Novizin Hildegunda. Sie bot ein solches Bild des Jammers, dass Engelin umgehend ihre eigenen Sorgen vergaß, auf sie zuging und ihr die Hand auf die bebende Schulter legte.
»Was ist Euch, Hildegunda? Ist Euch ein Leid geschehen?«
Ein langes, trauriges Aufschniefen war die Antwort, doch das Mädchen hob dabei den Kopf. Ihre linke Wange war tief gerötet.
»Ihr habt eine böse Ohrfeige bekommen. Wer hat Euch das angetan, Liebelein?«
»Meine Herrin, edle Jungfer.«
»Meine Mutter hat heute Morgen eine diabolische Laune, ich weiß. Aber sie sollte sie nicht an Euch auslassen«, sagte Casta und streichelte die Novizin ebenfalls. »Womit habt Ihr sie verärgert?«
»Ich … ich hab mit dem Jungen gesprochen. Aber nur ganz kurz. Und da hat sie mich von ihm weggezerrt und ihn beschimpft. Und weil ich gesagt habe, dass er keine böse Absicht hatte, hat sie mich geohrfeigt.«
»Meine Mutter grummelt und grollt seit gestern Abend, als hätte sie Mahlsteine gegessen und nicht saftige Pasteten. Mit mir hat sie auch schon gezankt, Hildegunda.«
»Ich versteh das nicht, sie ist sonst freundlich zu mir. Aber seit wir hier sind, ist sie immer so gereizt.«
Engelin streichelte den Arm der Novizin.
»Wir sind alle gereizt, weil wir nicht aus der Burg dürfen und jeder jeden verdächtigt. Und nichts wird getan, um diesen dummen Zustand zu ändern.«
»Doch, Engelin«, sagte Casta. »Du hast doch gehört, was Herr Ulrich heute verkündet hat.«
Hildegunda hatte ihre Tränen getrocknet und schaute etwas munterer drein.
»Doch, sie kümmern sich, Jungfer Engelin. Der Junge … Er wollte von mir wissen, wo ich an dem Morgen war, als der Vogt vom Bergfried fiel.«
»Ismael?«
Sie nickte ernsthaft.
»Ich sagte doch, es war nichts Lasterhaftes. Er hat nur die eine Frage gestellt, ganz höflich.«
Engelin spitzte die Ohren. Sie und Casta hatten nachts in ihrer Kemenate leise wispernd auch schon etliche Überlegungen angestellt, vor allem, weil sie selbst hoffte, ihren Vater zu entlasten.
»Und wo wart Ihr, Hildegunda?«
»Hier im Garten, Jungfer Engelin. Weil … die ehrwürdige Mutter hat mich doch runtergeschickt.«
»Mit welchem Auftrag?«, wollte auch Casta wissen.
Wieder wurden die Augen der jungen Novizin feucht. »Ich hatte Wein verschüttet, den die ehrwürdige Mutter trinken wollte. Aber nicht mit Absicht. Doch nur,
Weitere Kostenlose Bücher