Das Spiel des Saengers Historischer Roman
wankelmütig. Gestern noch beschwertet Ihr Euch, der Meister Hardo sei ein weibischer Geck, heute ist er ein brutaler Raufbold. Weibische Gecken aber können selten mit den Fäusten umgehen.«
»Der schon. Da nützt ihm auch das ganze Minnegesäusel nichts.«
»Nun, Jungfer Engelin, ich würde sagen, das macht ihn zu einem faszinierenden Mannsbild.«
»Mein Geschmack ist er nicht!«
Die kurze Anwandlung von Freundlichkeit war also schon wieder verschwunden.
Immerhin war sie kurzfristig da gewesen, und genau so, wie ich mich an der kleinen Weile erfreut hatte, als sie in der Kapelle in meinen Arm gelehnt geschlummert hatte, nahm ich diese ersten zarten Risse in ihrer harten, hohen Wehrmauer, die sie um sich gezogen hatte, als Hoffnungsschimmer, die Feste vielleicht doch noch erstürmen zu können.
Ohne großes Blutvergießen hoffentlich.
Mit bis auf den dünnen Bartstreifen glattem Kinn und in trockene Gewänder gekleidet, musste ich geraume Zeit später den drei jungen Männern Rede und Antwort stehen.
»Der Geheimgang, so sagt die Geschichte, wurde vor ungefähr hundertfünfzig Jahren von dem Erbauer der Burg angelegt. Hintz Flecko, so heißt es, hat ihn aber nicht deswegen erbauen lassen, weil er einen geheimen Ausschlupf aus der Burganlage haben wollte, sondern einen Einschlupf. Und zwar für sein Liebchen aus dem Dorf, das nachts, ohne dass die Wachen und vor allem sein Weib es bemerkten, dort ein- und ausgehen konnte. Ob das wahr ist …« Ich zuckte mit den Schultern.
»Woher wisst Ihr das nur?«, wollte Puckl wissen. Er war ein Mensch, der allem immer auf den Grund gehen musste. Aber von mir würde er nicht alles erfahren.
»Ich höre viele Geschichten, Sebastian. Diese, und auch die von dem Skelett, das man einst dort in dem Gang gefunden hat. Niemand weiß genau, wer dort umgekommen ist. Vielleicht hat man einfach einen unliebsamen Besucher dort hinabgestürzt und verhungern lassen oder ein unvorsichtiger Eindringling hatte sich dort eingeschlichen und den Ausgang nicht mehr gefunden.«
Sie hatten ihre Freude an grausigen Vorstellungen und schmückten sie mit wahrer Wonne aus. Ich half ihnen mit ein paar Zutaten nach. So entstanden faszinierende Geschichten - aus ein paar Tatsachen und einem Haufen fantasievoller Vermutungen dessen, was glaubhaft hätte sein können. Wir fabulierten mit Lust, bis Dietrich die Frage stellte: »Und wo ist denn nun dieser geheime Gang?«
Es war nur so eine Ahnung, dass es möglicherweise ganz nützlich sein konnte, wenn außer mir noch jemand davon wusste. Ritter Ulrich spielte ein nicht ganz gefahrloses Spiel. Auch über mir schwebte eine gewisse Drohung von Gewalt. Das Eingesperrtsein in der Burg, die gegenseitigen Verdächtigungen und das Gespitzel untereinander heizten die Stimmung auf. Meine Mär trug ein Weiteres dazu bei, dass unliebsame Erinnerungen aufkamen. Dass Lucas handgreiflich und die Äbtissin streitsüchtig geworden war, waren die ersten Anzeichen dafür, dass es mit der Höflichkeit
zu Ende ging. Meine Geschichte würde auch in ihrem Weitergang in den nächsten Tagen nicht eben besänftigend wirken. Ulrich und ich ließen die Anwesenden auf einem schmalen Grat wandeln, und wir beide mussten aufpassen, dass kein Unschuldiger stolperte und in den Abgrund gerissen wurde.
Der Fluchttunnel konnte möglicherweise von Nutzen sein, wenn sich die Lage zuspitzte.
Darum erklärte ich den dreien, nachdem ich ihnen das feierliche Versprechen abgenommen hatte, tiefstes Schweigen zu wahren, dass sich der Eingang des Gangs unter dem Altar in der Kapelle befand. Eine der marmornen Bodenplatten, jene, die mit einem Kreuz verziert war, konnte angehoben werden, darunter führte ein steiler Schacht senkrecht nach unten. Dann folgten einige Stufen zu dem geraden Stollen unter dem Wassergraben durch, eine Steintreppe wieder nach oben, und der Fluchtweg endete in dem Heiligenhäuschen im Lindenhain.
Ismael nickte unmerklich, als ich das erklärte. Er hatte es sich vermutlich schon zusammengereimt.
»Und wie kommt man aus dem Heiligenhäuschen heraus?«, fragte Puckl. »Ich habe mir das neulich angesehen. Es steht doch nur eine Muttergottes darin.«
»Auf einem Sockel, den man drehen kann, dann geht eine schmale Tür auf.«
»Ist das nicht gefährlich? Ich meine, das könnte doch jemand herausfinden und unbemerkt in die Burg eindringen.«
»Könnte. Aber dazu müsste ein anderer in der Burg den Altar von der Platte wegschieben. Der ist recht schwer; von unten
Weitere Kostenlose Bücher