Das Spiel des Saengers Historischer Roman
leicht und straffte die Schultern.
»Casta, du musst den Ritter über Hildegundas Beobachtungen berichten.«
»Was? Oh - kann ich nicht. Meine Mutter hat mir auch verboten, mit ihm zu sprechen.«
»Warum denn das nun schon wieder?«
»Weil er weiß, wer Hardo ist, und ihn in sein Vertrauen gezogen hat, statt ihn in den Kerker zu werfen. Oder so ähnlich. Sie ist furchtbar verbissen und verbittert im Augenblick. Ich will sie nicht weiter reizen. Aber du könntest es Herrn Ulrich weitersagen. Oder Meister Hardo.«
»Dem bestimmt nicht. Aber mit dem Ritter kann ich sprechen. Ja, das mache ich nachher, wenn wir den Vogt zu Grabe getragen haben.«
Die Beerdigung sollte dann auch wenig später auf dem Lichhof stattfinden, und während der Andacht in der Kapelle kniete Engelin in der vorletzten Reihe. Die Litaneien, die der Kaplan mit eintöniger Stimme herunterleierte, der Weihrauchduft, das gedämpfte Licht, das durch die bleiverglasten Fenster fiel, die Wärme, die die Menschen um sie herum ausstrahlten, lullten sie ein. Seit dem Morgengrauen hatte sie für die Mahlzeiten gesorgt, Brotteig geknetet, Wassereimer geschleppt, die Nacht über aber nur wenig geschlafen, und so schlummerte sie selig ein. Sie merkte
nicht, dass sie sich dabei an einen starken Körper lehnte, der sie sanft umfing und verhinderte, dass sie zur Seite kippte.
Erst als das Glöckchen läutete, fuhr sie aus ihrem erschöpften Schlaf auf, bemerkte die Arme, die sie hielten, erkannte den Mann, zu dem sie gehörten, und machte sich mit einer wilden Bewegung los.
»Was fällt Euch ein!«, zischte sie leise.
»Viel, liebreizende Herrin«, sagte Meister Hardo mit einem Lächeln in der raspelrauen Stimme.
Schauder fuhren ihr über den Rücken. Aber sie riss sich zusammen. Nur um keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen, knurrte sie lediglich und rückte ein Stück von ihm weg. Sie lehnte auch seine Hilfe beim Aufstehen ab und erhob sich einigermaßen anmutig, um der Gemeinschaft auf den Lichhof zu folgen, wo der Leichnam ins Grab gesenkt werden sollte.
Wieder stand Hardo hinter ihr, und als die Erde auf den in Leintücher gewickelten Toten fiel, streifte sie die Ahnung der Endlichkeit. Hier war ein Mensch gestorben, und wie es schien, trauerte keiner, der ihn kannte, sonderlich um ihn. Ja, selbst sein Weib Ida vergoss keine Träne. Sie hatte sogar zum Zeitpunkt seines Todes mit einem anderen Mann getändelt. Wie musste es sein, so ungeliebt zu sterben - schlimmer noch, so ungeliebt zu leben?
Er musste einen Feind gehabt haben, der ihn auf den Tod hasste. Der ihm nicht vergeben hatte.
»Pater noster, qui es in caelis: Sanctificetur nomen tuum«, betete der Kaplan am Grab, und die Anwesenden murmelten tonlos mit.
Pattanosta, Sanktifix!, ging es Engelin durch den Kopf, und beinahe hätte sie gelächelt. Doch dann rezitierte Magister Johannes:
»Et dimitte nobis debita nostra,
Sicut et nos dimittimus debitoribus nostris.«
Engelin zuckte betroffen zusammen. Ja, auch sie hatte
einmal Menschen sehr wehgetan, Menschen, die sie liebten und ihr gut wollten. Und obwohl sie ihnen unendlich Sorgen bereitet hatte, hatten sie ihr verziehen. Weil sie sie liebten. Die Äbtissin, die hier ganz in ihrer Nähe mit frommem Blick um Vergebung der Schuld betete und gleichzeitig einen Mann für die Sünde seines Vaters verachtete, musste eine Heuchlerin reinsten Wassers sein.
Jener Mann stand hinter ihr und sprach das Gebet in seiner samtig-rauen Stimme und so aufrichtig, dass sie ihm fast glauben wollte, als er sagte.
»Et ne nos inducas in tentationem,
sed libera nos a malo.«
Die schmeichelnde, heisere Stimme erzeugte schon wieder ungewollte Schauder in ihr, aber sie besann sich mit starkem Willen auf die frommen Worte.
Erlöse uns von dem Bösen - das konnte man Gott dem Herrn überlassen, aber in kleinen Dingen war es auch die Aufgabe jedes einzelnen Menschen. Ihre eigenen bösen Gedanken konnte sie selbst verbannen, für ihren Zorn und ihre Gereiztheit war sie selbst verantwortlich. Wahrscheinlich würde sie sich besser fühlen, wenn sie sich in christlicher Nächstenliebe übte.
Nur in der natürlich!
Und mit Haltung.
Als das Amen gesprochen war, drehte sie sich zu dem Minnesänger hinter sich um und sagte leise: »Ich muss Euch alleine sprechen, Meister Hardo.«
»Dann bleibt hier, ich werde die Grube noch mit den Grassoden bedecken und das Kreuz aufrichten«, gab er ebenso leise und ganz ohne neckenden Ton zurück.
Die Gemeinschaft
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