Das Spiel des Schicksals
durch die Glasscheibe auf einen anderen Ort, einen falschen Ort. Und danach wurde die Helligkeit so gleißend, dass sie ihr im ganzen Körper wehtat. Sie ließ die Münze fallen, kniff die Augen zu und legte die Hände über die Ohren, aber auch das half nicht, und als sie die Augen wieder öffnete, war alles anders geworden.
Sie wusste sofort, dass etwas Schreckliches geschehen würde, so schrecklich, dass sie es nicht ertragen konnte. Sie versuchte, es Mummy und Daddy zu sagen, aber sie verstanden sie nicht. Sie kitzelten sie weiter mit langen Haaren und schwangen sie durch die Luft und brachten
ihr Geschenke und bliesen wieder und wieder Kerzen aus, und die ganze Zeit wusste sie, dass dieses entsetzliche, namenlose Ding näher kam, dass es hinter der nächsten Ecke lauerte. Und sie konnte nichts dagegen tun. Bis sie – das Kätzchen – einfach nur dasaß, zusammengekauert auf den Stufen, lange nachdem sie eigentlich im Bett hätte liegen sollen. Durch einen Spalt in der Tür beobachtete sie drei Personen, die im Wohnzimmer miteinander redeten.
»Das ist kein Spiel«, sagte Mummy. Ihre Stimme bebte.
»Es ist das einzige Spiel«, erwiderte eine Stimme, die Kätzchen nicht kannte. Eine murmelnde Stimme mit einem Hang zum Stottern. »Und ich beabsichtige, es zu g-gewinnen. «
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte ihr Daddy.
»Ich will damit sagen, dass ich mir n-nehmen werde, was mir zusteht«, sagte der Fremde. »Angefangen mit der M-Münze. Sie sehen also, die Karten sind g-gegen Sie.«
Dann fingen Mummy und Daddy gleichzeitig zu reden an, mit hohen, schnellen Stimmen.
»Bitte. Das ist ein Missverständnis«, sagte Mummy. »Wir können nicht … « Und Daddy fing an zu schreien, schrie jemanden an, den sie nicht sehen konnte, aber dann gab es einen Blitz und zwei knisternde Schläge, Brandgeruch, und Kätzchen kauerte sich auf den Stufen zusammen, und Cat schwebte in großer Entfernung, und beide schrien. Denn über den Teppich ergoss sich Haar, Haar, das nach Äpfeln roch, und der Teppich hatte das Eiskremmuster, und beides war mit heißem, scharfem Rot
befleckt. Und das Schreien ging weiter, immer weiter, flog in eine entsetzliche Stille, die zu einem Strom aus Dunkelheit, Blindheit und zersplitterndem Glas wurde.
Hinter ihr erhob sich das Haus. Die Fassade war grau und die Fensterhöhlen schwarz und leer. Die Steine auf der Terrasse waren gesprungen und nass vor Regen. Sie fing an zu schluchzen. Sie schluchzte noch, während sie durch das struppige, von Unkraut durchzogene Gras stürzte, das einstmals ein weicher, dicker Rasen gewesen war, durch die fauligen Bretter brach – das Einzige, was von der Tür übrig geblieben war. Und sie schluchzte heftiger und heftiger, während sie zur Sonnenuhr stolperte und die Münze mit ganzer Kraft in die Luft schleuderte, so hoch, bis sie sie nicht mehr sehen konnte.
KAPITEL 6
Eine ganze Zeit lang sah es so aus, als ob der Türsteher des Palais Luxe sie nicht hineinlassen wollte. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Abgesehen von der Tatsache, dass niemand unter achtzehn einen Fuß in ein Casino setzen durfte, hatte Cat Probleme damit, auch nur einen vernünftigen Satz zu artikulieren. Aber nachdem sie fünf – oder sechsmal Bels Namen genannt hatte, murmelte er in sein Funkgerät, und plötzlich stand Bel in der miefigen Eingangshalle. Sprach sie an. Fragte, ob alles in Ordnung sei. Ob sie verletzt oder krank sei oder ob die Wohnung …
»Nein«, sagte Cat benommen. »Ich bin nicht verletzt. Es ist nur … Ich muss unbedingt mit dir reden.«
Bel betrachtete sie lange und nickte dann knapp. »Rein mit dir.«
Der Türsteher brummelte immer noch etwas über Gesetze und Lizenzen, aber Bel scheuchte ihn mit einer Handbewegung weg, während sie mit der anderen Hand Cat die Treppe hinaufschob. Das Nächste, was Cat wusste, war, dass Bel sie in eine winzige Küche neben Gregs
Büro führte. Dort bereitete sie zwei Tassen süßen, staubig schmeckenden Tee zu. Erst nachdem Cat gehorsam einen Schluck getrunken hatte, fragte Bel: »Also schön, was ist hier eigentlich los?«
Cat starrte auf die Uhr an der Wand. Viertel vor zwei. Sie war weniger als drei Stunden im Arkanum gewesen. Die Uhr tickte, der Tee dampfte, Murmeln und gedämpfte Rufe drangen aus dem unteren Stockwerk. Es gab Hunderte, ja Tausende Worte, die Cat aussprechen wollte, aber alle waren sie unmöglich.
»Ich … Ich will die Wahrheit über Mum und Dad wissen. «
»Deine … ?« Bel runzelte die
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