Das Spiel seine Lebens
gewissen Schutz. Für einen Mafiaboss hatte Moral dieselbe Bedeutung wie Ehrlichkeit für einen Politiker.
Durch eine Baustelle an der 12 th Street wurden sie ein paar Minuten aufgehalten, aber sie kamen immer noch vor der Zeit an. Es roch nach Pizza - was vermutlich damit zusammenhing,
dass sie vor einer Pizzeria parkten. Sie trug den Namen »The First Original Ray's Pizza of New York, Really, We're Not Kidding, Honest, We're It«. Eine große Frau in blauem Kostüm ging entschlossen den Gehweg entlang. Myron lächelte ihr zu und sie erwiderte das Lächeln. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie in Ohnmacht oder vor ihm auf die Knie gefallen wäre, aber man kann nicht alles haben.
In Clancy's Tavern war um zwei Uhr mittags Hochbetrieb. Myron blieb direkt vor der T ür stehen, strich sich die Haare zurecht, wandte sich lächelnd nach links, dann nach rechts, blickte lächelnd nach oben.
Win sah ihn fragend an.
»Das FBI fotografiert jeden, der da reingeht«, sagte Myron. »Ich wollte einen ordentlichen Eindruck machen.«
»Das sagst du mir jetzt. Ich seh schrecklich aus.«
Bei Clancy's verkehrten nur M änner. Es war nicht unbedingt der Geheimtipp, um Frauen abzuschleppen. In der Juke Box lief Bob Seeger. Die Einrichtung war im frühen amerikanischen Bier-Stil gehalten. Es gab viele Schilder mit Neonschriftzügen von Biermarken: Budweiser, Bud Light, Miller, Miller Lite, Schlitz. Eine Michelob-Uhr. Ein Coors-Spiegel. Pabst-Bierdeckel. Die Gläser waren mit Rolling-Rock-Logos verziert.
Myron wusste, dass hier wahrscheinlich Tausende von Abh örgeräten installiert waren. Herman Ache störte das nicht. Jeder, der in dieser Kneipe etwas wirklich Gefährliches sagte, war mehr als blöd und hatte es verdient, wenn er in den Knast wanderte. Die wichtigen Gespräche wurden in den Hinterzimmern geführt. Ache ließ sie jeden Tag auf Wanzen untersuchen.
Als Win eintrat, zog er ein paar neugierige Blicke auf sich. Das Internatsoutfit war bei Clancy's Kunden nicht unbedingt angesagt. Doch er wurde nicht lange angestarrt. In dieser Bar starrte man niemanden lange an.
»Ist das dein Freund Aaron?«, fragte Win.
Aaron stand in seinem üblichen weißen Anzug hinten an der Theke. Diesmal trug er ein Hemd darunter, allerdings ein ärmelloses Muskel-Shirt, das seine Brustmuskulatur betonte. Es schien, als wäre Aarons Garderobe zusammen mit ein paar Ausgaben GQ und Pumping Iron in einen Molekulartransformer geraten. Er winkte sie mit seiner gullideckelgroßen Hand zu sich heran.
»Hallo, Myron«, sagte Aaron. »Wirklich eine Freude, dich wieder zu sehen.«
Myron Bolitar, Mr. Liebenswert. » Aaron, ich möchte dir meinen Freund Win Lockwood vorstellen.«
Aaron wandte sich l ächelnd an Win. »Angenehm, Win.« Beim Händeschütteln starrten sie sich giftig in die Augen und taxierten sich gegenseitig. Keiner blinzelte.
»Sie warten hinten«, sagte Aaron. »Kommt.«
Aaron f ührte sie zu einer geschlossenen Tür mit Einwegspiegel. Sie wurde sofort geöffnet. Sie traten ein. Zwei Gangster nahmen sie mit versteinerten Gesichtern in Empfang. Vor ihnen befand sich ein langer Gang. Dort stand - und das war neu - ein Metalldetektor wie auf einem Flughafen.
Aaron zuckte die Achseln als wollte er sagen, »Die Zeichen der Zeit«. »Wenn ihr so freundlich wärt, mir eure Waffen zu geben. Dann könnt ihr da durchgehen.«
Myron zog seinen. 38er raus, Win eine brandneue. 44er. Die von gestern Abend war zweifelsohne entsorgt worden. Sie gingen weiter. Der Detektor gab kein Ger äusch von sich, trotzdem suchten die Gangster sie noch mit einem von diesen Geräten ab, die verteufelt nach Vibratoren aussahen. Dann wurden sie noch von Hand abgetastet.
»Sehr gründlich«, sagte Win.
»Macht fast Spaß«, fügte Myron hinzu. »Ich dachte schon, er w ürde mich auffordern, den Kopf zur Seite zu drehen und zu husten. «
»Hey, du Komiker«, fuhr ihn einer an, »hier geht's lang.«
Die beiden Gangster begleiteten sie durch den Gang. Aaron blieb stehen und sah ihnen nach. Myron gefiel das nicht. Die W ände waren weiß, der Teppichboden orange. An den Wänden hingen Lithografien von der französischen Riviera. Der vordere Teil von Clancy's Tavern sah aus wie eine Spelunke, der hintere wie eine Zahnarztpraxis.
Zwei weitere M änner kamen ihnen entgegen. Beide trugen Pistolen.
Myron beugte sich zu Win hin über und flüsterte: »Uh-oh.«'
Win nickte.
Die beiden M änner richteten ihre Pistolen auf Myron und Win. Einer blaffte: »Hey, du,
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