Das Spiel
Sauerstoffdetektor. »Zwanzig Komma vier«, verkündet sie und verstummt dann wieder.
Ich kann kaum atmen, will jedoch trotzdem keine Zeit verschwenden. Ich schlage die Kladde mit der Aufschrift Projekt Midas auf.
»Leuchtest du mal hierher?« Vielleicht kann ich sie so von der Höllenfahrt ablenken.
Sie rührt sich nicht von der Stelle. Für Viv ist dieser Käfig nichts weiter als ein fliegender, undichter Sarg, und sie kann es kaum erwarten herauszukommen.
Wenigstens haben wir es nicht mehr weit. Je weiter nach oben wir rasen, desto höher steigen die Sauerstoffwerte. Zwanzig fünf, zwanzig sieben. Freiheit und Frischluft sind nur noch eine Minute entfernt.
53. KAPITEL
Als sich das Stahlkabel in Bewegung setzte, sprang Janos sofort an das Telefon der Gegensprechanlage.
»Lastenaufzug ...«, antwortete die Frau in der Zentrale.
»Können Sie dafür sorgen, daß der Käfig, der jetzt hochkommt, an der Rampe hält?« Janos las den Namen der Station von dem Schild ab.
»Klar, aber warum ... ?«
»Wir haben hier einen Notfall. Bringen Sie den Käfig einfach so schnell wie möglich hier herauf!«
»Sind alle wohlauf?«
»Haben Sie nicht gehört, was ich ... ?«
»Ich hab's kapiert. Die Rampe.«
Janos knöpfte seine Jacke zu und beobachtete, wie das Wasser herunterregnete. Ein kalter Wind blies durch den offenen Schacht. Er steckte die Hände in die Seitentasche seiner Jeansjacke, tastete nach dem schwarzen Kästchen und betätigte den Schalter. Wegen des Rumpeins des Fahrkorbs konnte er das elektrische Summen nicht hören.
Hinter ihm fingen die Bänke an zu rattern, und die elektrischen Lampen im Stollen flackerten. Der Schnellzug war unterwegs, und dem ohrenbetäubenden Dröhnen nach zu urteilen, brauchte er nicht mehr lange.
Zischend tauchte der Metallsarg aus dem Abgrund auf.
Janos griff sofort zu dem Verschluß der korrodierten gelben Tür. Er wollte ihnen keine Chance geben, sich zu erholen. Pack sie und erledige sie auf der Stelle.
Er riß die Tür auf. Wasser spritzte ihm ins Gesicht. Die Tür schlug gegen die Wand. Janos knirschte mit den Zähnen, und seine Wangenmuskeln traten wie zwei gespannte Drahtseile hervor.
»Hundesöhne ...!«
Wasser tropfte von der Decke des Käfigs und rann die schmierigen Metallwände hinunter. Ansonsten war der Korb leer.
54. KAPITEL
»Schnell... lauf!« Ich schiebe Viv durch die offene Tür des Käfigs und renne durch den großen Raum vor uns. Das Schild an der Wand sagt uns, daß wir auf Ebene eins-drei angekommen sind. Dort sind wir auch eingestiegen, allerdings haben wir bei der Auffahrt einen anderen Schacht benutzt. Er war nicht schwer zu finden. Wir mußten nur den aufgesprühten Aufzug-Zeichen folgen. Achttausend Fuß später hat uns die Erdoberfläche wieder.
»Ich verstehe immer noch nicht, warum wir unbedingt den anderen Aufzug nehmen mußten«, keucht Viv hinter mir.
»Du hast Janos doch schon einmal erlebt. Bist du scharf auf ein zweites Rendezvous?«
»Glaubst du tatsächlich, daß er hier auf uns wartet... ?«
»Schau auf deine Uhr, Viv. Es ist fast Mittag. Er hatte genug Zeit, um uns einzuholen. Wenn er schon in Spuckweite ist, müssen wir es ihm nicht auch noch leichter machen.«
Wie in den unterirdischen Stollen führen auch hier Metallschienen über den Boden. Mindestens ein halbes Dutzend Triebwagen, zwei schlammverspritzte Bagger und sogar einige rote Toilettenwagen stehen herum. Es stinkt nach Benzin. Anscheinend befindet sich hier der Fahrzeugpark, doch mich interessiert im Moment nur der Ausgang.
Ich laufe zwischen zwei Triebwagen hindurch zu dem großen Rolltor an der gegenüberliegenden Wand. Es ist mit einer Kette und einem Vorhängeschloß gesichert. »Abgesperrt!« rufe ich Viv zu.
Ich blicke mich um, finde jedoch keinen Ausweg. Nicht mal ein Fenster ist zu sehen.
»Da!« Viv deutet an den roten Waggons vorbei.
Ich folge ihr, als sie auf eine Holztür zuläuft, die wie eine Toilettentür aussieht. »Bist du sicher, daß das richtig ist?«
Sie schenkt sich eine Antwort.
Als ich näher komme, wird mir klar, warum sie so zuversichtlich ist. Nicht wegen der Tür, sondern wegen des Lichtscheins, der darunter hindurchleuchtet. Nach dieser langen Zeit unter der Erde erkenne ich das Tageslicht sofort.
Ich bin zwei Schritte hinter Viv, als sie die Tür aufreißt. Die Helligkeit brennt in meinen Augen, als würde ich aus einem dunklen Filmtheater direkt in die Sonne treten. Es fühlt sich wunderbar an. Die ganze Welt leuchtet in
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