Das Spiel
Ich habe kaum zwei Schritte nach draußen gemacht, als ich schon ein lautes Klacken auf den Metallstufen der Treppe höre, die direkt vor uns endet. Als ich hochschaue, sehe ich, wie Janos um die Ecke der obersten Treppe fegt. Er sagt nichts, sondern grinst beinahe unmerklich.
Dieser verdammte Mistkerl!
Viv wendet sich nach links. Ich laufe hinter ihr her. Janos stürmt die Treppe hinunter. Wir haben höchstens dreißig Meter Vorsprung. Viv biegt wieder scharf nach links ab und wendet sich dann nach rechts. Jetzt sind wir nicht mehr in seinem Blickfeld. Die Flure im Untergeschoß sind niedrig und schmal. Wir irren hilflos wie Ratten in einem Labyrinth umher, während die Katze hinter uns sich bereits die Lippen leckt.
Vor uns verbreitert sich der Flur. Am Ende des Ganges scheint hell die Sonne durch das Glas in den Doppeltüren. Das ist unser Ausgang. Der Westausgang. Diese Tür benutzt der Präsident, wenn er zu seiner Vereidigung geht. Von hier aus geht es nur noch geradeaus.
Viv schaut eine halbe Sekunde zurück. »Du weißt, was ...?«
Ich nicke. Sie versteht.
Viv ballt die Fäuste, um ihre Geschwindigkeit zu halten, und stürmt auf das Licht zu. Ein paar Blutstropfen fallen zu Boden.
Hinter uns galoppiert Janos wie ein Rennpferd und verkürzt den Abstand stetig. Ich höre ihn atmen, und je näher er kommt, desto lauter wird sein Keuchen. Wir rennen aus Leibeskräften. Unsere Schritte hallen laut im Korridor. Ich bin neben Viv, die allmählich langsamer wird. Schon ist sie einen halben Schritt hinter mir. Komm schon, Viv, nur noch ein paar Meter. Ich werfe einen flüchtigen Blick auf ihr Gesicht. Sie hat Augen und Mund weit aufgerissen. Diesen Ausdruck habe ich auf den Gesichtern von Marathonläufern bei Kilometer fünfunddreißig gesehen. Sie schafft es nicht. Janos wittert ihre Qual und setzt sich etwas nach links hinter Viv. Er ist so nah, daß ich ihn fast riechen kann. »Viv ...!« rufe ich.
Janos streckt die Hand aus, um sie zu fassen, und macht einen Satz nach vorn. Die Tür liegt direkt vor uns. Gerade, als er zugreifen will, packe ich Vivs Schulter und schlage einen scharfen rechten Haken.
Janos rutscht über den polierten Boden und will uns um die Kurve folgen. Zu spät. Es knallt. Als er die Verfolgung wiederaufnimmt, stürmen Viv und ich durch eine schwarze Kunststoffschwingtür, die aussieht, als führte sie in eine Restaurantküche.
Als sie hinter uns zuschwingt, teilen wir den Flur mit mehr als einem Dutzend bewaffneter Polizisten. Das Büro zu unserer Rechten ist das Hauptquartier der Capitol Police.
Viv plappert sofort los. »Dahinten ist ein Kerl, der versucht...«
Ich bringe sie mit einem Blick zum Schweigen und schüttele den Kopf. Wenn sie mit dem Finger auf Janos zeigt, verpfeift er uns ebenfalls, und ich kann es mir im Moment nicht leisten, eingebuchtet zu werden. Viv sieht mich verwirrt an. Sie versteht mich nicht, aber sie überläßt mir die Führung.
»Dahinten kommt ein Kerl, der mit sich selbst redet«, sage ich zu den drei Beamten, die mir am nächsten stehen. »Er hat uns grundlos verfolgt und behauptet, wir wären der Feind.«
»Ich glaube, er hat sich von seiner Führung weggeschlichen«, fügt Viv hinzu. Sie weiß, wie sie die Jungs aufscheuchen kann. Sie deutet auf den Ausweis vor ihrer Brust. »Er hat keinen Ausweis.«
Janos stößt die schwarze Kunststoffschwingtür auf. Die drei Polizisten stellen sich ihm in den Weg.
»Können wir Ihnen helfen?« fragt einer. Die FBI-Windjacke beeindruckt ihn nicht. Er weiß, daß man so was in jedem Andenkenladen kaufen kann.
Bevor Janos auch nur eine lahme Entschuldigung stammeln kann, marschieren Viv und ich über den Flur.
»Haltet sie auf!« schreit Janos und will uns verfolgen.
Ein Beamter packt seine Windjacke und zieht ihn zurück.
»Was fällt Ihnen ein?« faucht Janos. »Was machen Sie da?«
»Ich mache meinen Job«, erwidert der Beamte. »Und Sie zeigen uns bitte Ihren Ausweis.«
Wir folgen dem Labyrinth des Untergeschosses bis nach draußen auf die Ostseite des Capitols. Die Sonne ist schon auf die andere Seite des Gebäudes gewandert, es dauert jedoch noch mindestens eine Stunde, bis es dunkel wird. Wir hasten an den Touristengrüppchen vorbei, die Fotos von der Kuppel machen, und rennen über die First Street. Hoffentlich gibt uns die Capitol Police einen genügend großen Vorsprung. Die weißen Marmorsäulen des Obersten Gerichtshofes leuchten direkt gegenüber. Ich habe nur Augen für ein
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