Das Spiel
Mom. Das gehört bestimmt zur Tour.«
»Das sollte es auch. Was glauben die denn? Daß wir das vergessen? Also wirklich! Ist schon schlimm genug, daß sie es uns als romantische Liebesaffäre verkaufen wollen ...« Sie hält einen Moment inne. »Hast du genug Geld?«
»Ja.«
»Gut. Richtige Antwort.«
Viv lächelt über den Scherz.
»Alles in Ordnung, Schatz?« fragt Mom.
»Es geht mir großartig«, erwidert Viv. »Ich bin nur ein bißchen aufgeregt wegen der Reise.«
»Das solltest du auch sein. Schätze jede Erfahrung, Vivian. Jede einzelne ist wichtig.«
»Ich weiß, Mom ...«
Wieder kommt die mütterliche Pause zum Einsatz. »Geht es dir wirklich gut?«
Viv verlagert ihr Gewicht und lehnt sich noch fester gegen den Schreibtisch. Es macht fast den Anschein, als brauchte sie den Schreibtisch als Halt. »Ich habe es doch schon gesagt, Mom, es geht mir sehr gut.«
»Ja, und du bist auch gut. Wirklich gut.« Mom strahlt förmlich durch den Hörer. »Mach uns stolz, Vivian. Gott hat dich uns nicht ohne Grund geschenkt. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch, Mom.«
Viv legt auf und bleibt zusammengesunken am Telefon stehen. Die Anrufe könnten ihr die Kündigung einbringen. Vielleicht fliegt sie sogar von der Schule. Immer noch besser, als umgebracht zu werden.
»Viv, nur, damit du es weißt...«
»Harris, bitte, halt dieses eine Mal einfach den Mund.«
***
»Startbereit?« Der Pilot warte auf uns am Empfangstresen.
»Alles bereit«, sage ich. Er geht voraus zum hinteren Teil des Gebäudes. Viv folgt schweigend einige Schritte hinter mir. Entweder will sie mich nicht ansehen oder möchte nicht, daß ich sie sehe. Für heute habe ich schon genug Druck gemacht.
Vor uns auf dem Flur befinden sich zwei verschlossene Sicherheitstüren. Als ich einen letzten Blick durch das Foyer werfe, sehe ich einen hageren Mann im Nadelstreifenanzug auf einem der gepolsterten Armstühle. Als wir angekommen sind, war er noch nicht da. Er scheint wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. So lange waren wir doch gar nicht weg. Ich will ihn genauer in Augenschein nehmen, aber er wendet rasch den Blick ab und klappt sein Handy auf.
»Alles in Ordnung?« erkundigt sich der Pilot.
»Ja, klar«, erwidere ich, als wir die Türen erreichen.
Die Frau an der Rezeption drückt einen Knopf. Die Tür entriegelt sich mit einem lauten magnetischer! Klak-ken. Der Pilot stößt sie auf und winkt uns nach draußen. Kein Metalldetektor, kein Abtasten, kein Durchleuchten, kein Gepäck, keine Umstände. Die Gulfstream G 400 fünfzehn Meter vor uns ist nagelneu. An der Seite des Jets leuchtet ein dünner orangeblauer Streifen in der Nachmittagssonne. Vor der Treppe liegt sogar ein winziger roter Teppich.
»Tolles Gerät, dieses fliegende Sofa, was?« fragt der Pilot. Viv nickt. Ich lasse mir nichts anmerken. Unsere Kutsche wartet.
Beim Einsteigen schaue ich zu den Panoramafenstern der Halle zurück. Der dünne Mann ist nirgendwo zu sehen.
Ich ducke mich und betrete die Kabine. Feine Lederclubsessel, ein buttergelbes Ledersofa und eine Stewardeß erwarten uns.
»Lassen Sie mich wissen, wenn Sie etwas brauchen«, sagt sie. »Champagner, Orangensaft, was immer Sie möchten.«
Der zweite Pilot sitzt bereits im Cockpit. Die Stewardeß schließt die Luke, und wir sind unterwegs. Ich setze mich nach vorn, Viv entscheidet sich für den letzten Platz ganz hinten.
Wir müssen weder unsere Gurte anlegen, noch liest uns die Stewardeß irgendwelche Richtlinien vor. »Sie können den Sitz ganz zurückstellen«, meint sie nur. »Dann können Sie den Flug verschlafen, wenn Sie wollen.«
Ihre freundliche Stimme klingt wie die der Großmutter aus dem Märchen, aber ich fühle mich trotzdem nicht besser. In den letzten Monaten haben Matthew und ich zahllose Stunden damit verbracht herauszufinden, wer von unseren Freunden und Mitarbeitern bei dem Spiel mitmischen könnte. Es war unmöglich, den Kreis einzugrenzen. Deshalb traue ich jetzt nur noch einer Siebzehnjährigen, die Todesangst hat und mich haßt. Auch wenn ich in einem dreißig Millionen Dollar teuren Privatjet sitze, ändert das nichts daran, daß meine beiden besten Freunde tot sind und ein angeheuerter Killer dafür sorgen will, daß wir ihnen Gesellschaft leisten. Keine Frage, ich habe nicht den geringsten Grund zum Feiern.
Das Flugzeug rumpelt über die Piste. Ich sinke in meinem Sessel zusammen. Draußen steht ein Mann in einer blauen Cargohose und einem blauweiß gestreiften Hemd. Er
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