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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brad Meltzer
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Schmutz und Wasser ins Gesicht weht. Ich huste, wende den Kopf ab und blinzle den Schmutz aus den Augen.
    Ich brauche zwei Minuten, um über den Schutt hinwegzukriechen. Mit der Rechten halte ich mich an der Wand, und mit der Linken suche ich den Boden nach Hindernissen ab. Selbst wenn ich fühle, was kommt, und ich weiß, daß es nur ein Steinhaufen ist, ist es beschwer lieh, als suchte man mit geschlossenen Augen die letzte Stufe einer Treppe. Zögernd geht man Stufe um Stufe weiter und weiß nie, wann sie kommt.
    Schließlich ertaste ich die Ränder eines Durchgangs rechts von mir. Ich suche auf dem Boden nach meiner Automobilclub-Karte. Wie vorhin habe ich nicht den leisesten Schimmer, wo sie sein kann, und außerdem kann ich mich diesmal nicht einmal mehr an rechts oder links erinnern. Dies ist die Höhle, von der die fünf Stollen abgehen. Erwische ich den falschen, wird diese Mine tatsächlich mein Sarg.
    »Viv!« rufe ich und krieche weiter. Es ist pechschwarz um mich herum. »Bitte, Viv, bist du da irgendwo?«
    Ich halte die Luft an und lausche, während meine Worte von den Wänden widerhallen. Es rumpelt überall gleichzeitig. Ich warte atemlos auf eine Antwort. Ich will sie auf keinen Fall überhören. Doch nachdem meine Stimme allmählich verklungen ist, senkt sich wieder das unterirdischen Schweigen über mich. Ich sehe mich um, und dabei wird mir noch schwindliger. Das Karussell ist losgefahren, und ich kann es nicht aufhalten.
    »Viv!« Diesmal wende ich mich in die entgegengesetzte Richtung. »Ist da irgend jemand? Bitte!«
    Das Echo ebbt ab und wird von der Dunkelheit verschlungen so wie ich.
    Es gibt weder oben noch unten noch links noch rechts. Die Welt scheint sich zu neigen, als sich meine Benommenheit zu einem Schwindelanfall steigert. Ich krieche weiter, trotzdem verliere ich das Gleichgewicht. Meine Stirn fühlt sich an, als würde sie gleich explodieren.
    Ich falle, und meine Wange schürft über einen Felsen. Wenigstens weiß ich jetzt, wo der Boden ist. Immer noch ist alles pechschwarz. Da sehe ich im Augenwinkel ein silbriges Licht aufblitzen. Es dauert nur eine Sekunde, wie Sternchen, die man auf den Lidern sieht, wenn man sie fest zukneift. Ich sehe hin, obwohl ich weiß, daß es nur Einbildung ist. Ich habe davon gehört. Das passiert, wenn man zu lange im Stockdunkeln gewesen ist. Die Fata Morganas der Minenarbeiter.
    »Harris ... ?« flüstert eine Stimme aus weiter Ferne.
    Zuerst halte ich das für Einbildung. Bis sie erneut spricht.
    »Harris, ich höre dich nicht!« schreit sie. »Sag was!«
    »Viv?«
    »Sag was anderes!« Ihre Stimme hallt durch den Raum. Ich kann die Richtung nicht erkennen, aus der sie kommt.
    »Viv, bist du das?«
    »Red weiter! Wo steckst du?«
    »Hier im Dunkeln. Meine Lampe ist ausgegangen!«
    Eine Sekunde herrscht Stille, als wäre ihre Stimme zeitverschoben. »Geht es dir gut?«
    »Du mußt mich holen!«
    »Was?«
    »Komm her und hol mich!« schreie ich.
    Sie zögert wieder. »Das geht nicht! Folge einfach dem Licht!«
    »Ich sehe kein Licht! Ich bin zu oft abgebogen. Komm schon, Viv, ich kann nichts sehen!«
    »Dann folge meiner Stimme!«
    »Viv!«
    »Folge ihr einfach!« Sie klingt flehentlich.
    »Hörst du es nicht? Sie hallt durch jeden Stollen!« Ich spreche in kurzen Sätzen, damit das Echo meine Stimme nicht verzerrt. Viv muß hören, was ich sage. »Es ist zu dunkel! Wenn ich falsch abbiege, findest du mich niemals!«
    »Soll ich mich etwa auch verirren?« sagt sie.
    »Du hast doch die Lampe!«
    »Harris ...!«
    »Du hast die Lampe! Wir haben nicht mehr viel Zeit!«
    Diesmal ist die Pause größer. Sie weiß, worauf ich anspiele. Je länger sie wartet, desto höher steigt die Wahrscheinlichkeit, daß wir nicht mehr lange hier unten allein bleiben. Bis jetzt hatten wir Glück, aber es hält nicht lange an, wenn Janos im Spiel ist.
    »Hab keine Angst, Viv! Es ist nur ein Stollen!«
    »Wenn das ein Trick ist ...!« antwortet sie nach einer Ewigkeit.
    »Das ist kein Trick! Ich brauche deine Hilfe!«
    Sie weiß, daß ich sie nicht veralbere.
    »Muß ich dich wirklich holen?« Ihre Stimme zittert.
    »Ich kann mich nicht rühren!« erwidere ich. »Viv ... Bitte ...!«
    Während ich in der pechschwarzen Finsternis liege, wird es wieder leise in der Höhle. Ich stelle mir vor, wie sie durch die Dunkelheit gehen muß, allein ... Ich habe ihre Augen gesehen. Natürlich hat sie Angst.
    »Viv, bist du noch da?«
    Sie antwortet nicht. Das ist kein gutes Zeichen.

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