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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Minuten Schleifen legt Bento das Glas in einen Formkörper auf einer schnell drehenden Holzscheibe. »Und zum Schluss kommt der Feinschliff. Dafür verwende ich eine Mischung aus Korund und Zinnoxid. Ich zeige Ihnen nur schnell den Anfang, sonst langweile ich Sie noch mit dem langen, ermüdenden Schleifvorgang.«
    Er dreht sich zu Simon um: »Jetzt wissen Sie, wie ich meine Vormittage verbringe und auch, woher die Brillen kommen.«
    Simon antwortet: »Wenn ich Ihnen zusehe, wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Einerseits müssen Sie wissen, dass ich Ihre Geschicklichkeit und Ihre ausgefeilten Techniken sehr bewundere, doch andererseits beklagt sich die andere, wichtigere Seele lautstark: ›Überlass das den Kunsthandwerkern.‹ Jede Gemeinde in Europa hat ihre Kunsthandwerker. Es gibt Heerscharen von Kunsthandwerkern, aber wo in aller Welt gibt es einen zweiten Bento Spinoza? Machen Sie das, was nur Sie können, Bento. Bringen Sie das philosophische Werk zu Ende, auf das die ganze Welt wartet. All dieser Lärm, dieser Staub, diese schlechte Luft, diese Gerüche, all diese verschwendete kostbare Zeit. Bitte, ich flehe Sie noch einmal an, erlauben Sie mir, Sie von der Last dieses Handwerks zu befreien. Erlauben Sie mir, Ihnen ein lebenslanges, jährliches Stipendium zu gewähren – jede Summe, die Sie nennen –, damit Sie sich mit voller Kraft dem Philosophieren widmen können. Ich kann es mir ohne Weiteres leisten, und es würde mir größtes Vergnügen bereiten, Ihnen diese Hilfe zu gewähren.«
    »Simon, Sie sind ein großzügiger Mann. Und Sie sollen wissen, dass ich Sie für Ihre Generosität verehre. Aber meine Bedürfnisse sind gering und leicht zu befriedigen, und zu viel Geld wird meiner Konzentration eher hinderlich als förderlich sein. Und dazu kommt – und, Simon, Sie mögen dies für unglaubwürdig halten, aber glauben Sie mir … Linsenschleifen ist gut fürs Denken . Ja, an der Drehbank bin ich sehr konzentriert, ich muss auf den Winkel und den Radius des Glases achten, auf das heikle Polieren, aber während ich daran arbeite, sprießt im Hintergrund mein Denken mit einer solchen Geschwindigkeit, dass ich oft eine Linse fertig habe und dann, mirabile dictu , entdecke, dass ich neue Lösungen für dornige, philosophische Argumente parat habe. Ich oder wenigstens das aufmerksame Ich wird anscheinend nicht gebraucht. Es ist nicht unähnlich dem Phänomen von Problemen, die in Träumen gelöst werden, wovon viele unserer Vorfahren berichteten. Abgesehen davon fasziniert mich die Wissenschaft der Optik. Im Augenblick entwickle ich eine vollkommen andere Methode, dünne Teleskoplinsen zu schleifen, was, wie ich glaube, ein großer Fortschritt sein wird.«
    Die Unterhaltung hatte damit geendet, dass Simon Bentos Hand mit beiden Händen ergriffen und sie überlange gedrückt gehalten hatte, während er sagte: »Sie werden mir nicht entkommen. Ich werde meine Versuche nicht aufgeben, Ihnen die Arbeit zu erleichtern. Sie sollen wissen, dass mein Angebot so lange gilt, wie ich lebe.«
    Das war der Augenblick, in dem Bento dachte, dass es gut war, dass Simon nicht allzu nah wohnte.
    In Amsterdam wartete Simon Joosten de Vries auf einer Bank an der Singel auf den Besuch seines Freundes. Simon, der Sohn wohlhabender Kaufleute, wohnte ein paar Straßen von van den Enden entfernt in einem sehr schönen dreistöckigen Haus, doppelt so groß wie die benachbarten Häuser, welche den Kanal säumten. Simon bewunderte Bento nicht nur, sondern ähnelte ihm auch von der Erscheinung her – zerbrechlich, zartgliedrig, mit schönen, zarten Gesichtszügen und einer ausgesprochen würdevollen Haltung.
    Als die Sonne hinter dem Horizont verschwand und der leuchtend orangene Himmel grau wie Holzkohle wurde, lief Simon ungeduldig vor seinem Haus auf und ab und sorgte sich zunehmend um den Verbleib seines Freundes. Die Trekschuit hätte schon vor einer Stunde ankommen müssen.
    Plötzlich entdeckte er Bento zwei Häuserblocks entfernt, wie er auf der Singel auf ihn zukam. Simon wedelte mit den Armen, eilte ihm entgegen und ließ es sich nicht nehmen, die schwere Schultertasche mit den Notizbüchern und den frisch geschliffenen Linsen zu tragen. Kaum waren sie im Haus, führte Simon seinen Gast an den gedeckten Tisch mit Roggenbrot, Käse und einem frisch gebackenen, würzigen Oudewijvenkoek (Altweiberkuchen), einer nordholländischen Delikatesse mit Anis.
    Während Simon Kaffee kochte, ging er den Plan für den folgenden Tag durch.

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