Das spröde Licht: Roman (German Edition)
lockiger, glänzender und gesünder wurde. Die Schwestern sahen wie ein und dieselbe Frau aus, die von vier verschiedenen, aber verwandten Meistern gemalt worden war. Ihre Hautfarbe reichte von Saras dunklem Zimtbraun bis zum Hellbraun ihrer ältesten Schwester, die sich ihr tiefschwarzes Haar in Locken über die Schultern fallen ließ. Ich habe sie immer gemocht, meine Schwäger und Schwägerinnen, wegen ihrer Lebensfreude und ihres Humors und vor allem wegen ihrer Gabe, Zuneigung zu zeigen und zu wecken. Mach deine Schale recht hart, wie eine Schnecke, damit du innen ganz zart sein kannst, hat ein Dichter gesagt, und das traf auf sie alle zu. Freilich gefielen sie mir auch wegen ihrer Schönheit, die Schwestern, und oft musste ich mich zusammennehmen, um sie nicht allzu eindringlich anzusehen oder sie, wenn auch unabsichtlich, auf die gleiche Art wie Sara zu streicheln. Zwei von ihnen leben noch, beide in Cali und beide sind verwitwet und so schön wie eh und je. Hin und wieder rufe ich sie an, und dann bin ich ganz bewegt, denn es ist, als hörte ich Saras Stimme. Auch der jüngere der beiden Brüder ist noch am Leben.
Saras Unterhaltung mit ihren Geschwistern war schwierig, denn sie wussten nichts von dem, was zwischen New York und Portland passierte. Sara rief sie nacheinander an, und das Gespräch war jedes Mal das gleiche. Sie versuchte, ihren üblichen spaßigen Ton anzuschlagen, aber das ging nur mit Krampf, und ich merkte es jedes Mal, wenn vom anderen Ende der Leitung die Frage kam, ob alles in Ordnung sei, sie klänge so seltsam. Sara antwortete, während ihre Stimme fast brach, es sei alles in Ordnung, aber natürlich hat jeder seine Probleme. Jacobo? Seine Schmerzen sind fürchterlich wie immer, du weißt ja, sagte sie, aber sonst geht’s ihm gut, es wird alles irgendwie gut werden. Sie sollten sich keine Sorgen machen, sie würde bald wieder anrufen und mehr erzählen, fügte sie hinzu. Und dann sagte sie: adios, adios, ich muss jetzt schleunigst los, zur Arbeit. Ja. Ich ruf dich bald wieder an. Ja. Ja. Ja. Adios, ich ruf dich an, ich ruf dich morgen an, adios.
dreizehn
Alle waren jetzt gegangen. Sara legte sich hin, und ich wandte mich dem Bild mit dem Fährschiff zu. Eine Viertelstunde später stand sie auf, streifte sich gelbe Gummihandschuhe über, griff sich eine Dose Ajax-Haushaltsreiniger und ging daran, die Badewanne und die Kacheln des Badezimmers zu scheuern. (Debrah hatte immer ihren Spaß daran, wie wir ›Ajax‹ im Spanischen aussprechen, nämlich ›Acháks‹, überhaupt nicht wiederzuerkennen, wenn man an das englische ›Eídschäx‹ gewöhnt ist, und manchmal bat sie uns, das Wort auszusprechen, nur weil es in ihren Ohren so komisch klang. Ein Wort wie ein Axthieb, sagte sie.) Ich hörte, wie Sara energisch die Kacheln schrubbte, und dann hörte ich, wie Wasser in die Badewanne einlief. Ich hörte, wie sie sich auszog und in die Wanne stieg. Mein Gehör war ganz fein, was Saras Bewegungen anging. Unter anderen Umständen wäre ich jetzt ins Badezimmer gegangen, um mit ihr zu sprechen, um sie anzuschauen. Aber diesmal war mir klar, dass sie allein sein wollte.
»Was gibt’s denn da zu gucken?«, fragte sie immer, wenn ich meine Arbeit unterbrach und ins Bad kam, um sie von oben bis unten anzusehen: Die Brüste fest für ihr Alter (was angeblich nur bei Frauen mit etwas dunkler Hautfarbe möglich ist); ein flacher Bauch mit nur zwei Streifen auf beiden Seiten, die ich sogar schön fand; der schöne, perfekte Venushügel, von dem sich ein kaum merklicher, schmaler Flaum bis zum Bauchnabel hochzog und ein Wunderwerk der Symmetrie schuf, das mir den Atem raubte. Ich ließ mir etwas einfallen und antwortete im Stil der Charmeure von Cali:
»Ich gucke dich nicht an, ich bete dich an.«
»Jetzt übertreib mal nicht!«
Zum Glück war es Sommer, und die Tage waren lang. Im Sommer hat man manchmal das Gefühl, dass ein Tag ewig ist. Ich wollte nicht, dass es Abend würde, denn dann hätte ich anerkennen müssen, dass die Zeit voranschritt, dass das Leben voranschritt mit seinen Walzen und Zahnrädern, die uns gerade zermalmten. Aber nur das Licht, das nicht greifbare Licht ist ewig. Und das Licht am sprudelnden, von der Schiffsschraube hochgewirbelten Wasser, sosehr ich es auch studierte und immer wieder überarbeitete, es gelang mir einfach nicht, es in seiner Ganzheit zu erfassen, ich meine, das Licht, das die Finsternis, den Tod aufhält und dem zugleich vom Tod und der
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