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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás González
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dem Taxi, wenn es nicht anders ging.
    Nach dem Unfall kaufte sich Pablo einen Kombi, damit er Jacobo transportieren konnte. Damals begann Pablo damit, sein Leben nach dem des Bruders auszurichten. Nicht dass er aufgehört hätte, sein eigenes Leben zu leben, aber bei allen Entscheidungen, die er traf, überlegte er vorher, welche Konsequenzen sie für Jacobo haben würden. So lehnte er zum Beispiel das Stipendium einer Universität in Massachusetts ab, denn eine Trennung von seinem Bruder kam für ihn überhaupt nicht in Frage. Stattdessen studierte er Filmkunst und Fotografie an einer sehr guten, aber weniger angesehenen Universität in New York. Bei seiner Begabung spielte das letzten Endes keine Rolle, und er ist in seinem Beruf sehr erfolgreich geworden.
    Als Sara fehlte (was für ein schöner, treffender Ausdruck für den Tod!), stellte ich Ángelas ältesten Sohn als Fahrer ein. Er bringt mich manchmal nach Bogotá. Und wenn ich einen Ausflug nach Girardot machen möchte – eine heiße Stadt am Río Magdalena, zwei Stunden von La Mesa entfernt, etwas heruntergekommen, aber immer noch schön –, dann fahren wir zu dritt und steigen in dem 5-Sterne-Hotel ab, das es dort gibt, er, Ángela und ich, jeder in einem eigenen Zimmer. Ich bin gern mit den beiden zusammen, und es rührt mich zu sehen, wie ihnen dieser Luxus die Sprache verschlägt. Zu etwas muss das Geld ja nütze sein, das sonst, genau wie der Ruhm, nur unangenehm ist, ästhetisch widerlich und sehr oft eine Last.
    Wie es fast immer bei Ärzten ist, konnte meiner in Bogotá nichts Neues sagen. Er konnte sich nicht erklären, wieso das Blindwerden bei mir so schnell ging, denn in meinem Fall handelte es sich nicht um die schlimmste Form von Makula-Degeneration. Auf meine Frage, wie lange ich noch würde schreiben können, antwortete er, das wisse er nicht, ich würde schon merken, wenn es nicht mehr ginge, und ich solle jedenfalls immer bei gutem Licht schreiben. Als ob es mir Spaß machen würde, im Dunkeln zu schreiben! Kurzum, wie ich schon früher gesagt habe: »Ich weiß nichts, du weißt nichts, keiner weiß etwas. Die Welt ist nur Klang und Form.«
    Nach dem Augenarzt aßen wir in einem Lokal in der Altstadt zu Mittag und machten dann mit dem Auto eine kleine Tour durch andere Teile des Stadtzentrums. Bogotá ist eine Stadt der permanenten Hochspannung, nicht gerade schön, aber vital und sehr grob zu ihren Bewohnern. Eine Stadt, die wie eine schlecht geschmierte Maschine funktioniert. Die Berge im Osten kann ich jetzt nicht mehr gut sehen, aber früher bin ich dort gern herumgestreift und habe ihre Formen bewundert, ihre Felsen und Bäume, ihre wuchtige, steile Topographie, ihre Vegetation, die manchmal ein einzigartiges, fast metallisches Dunkelblau annimmt, und ihren Himmel, der jeden Moment anders aussieht. Und wenn ich heute hinschaue, geht es mir wie mit vielen Dingen: alles wird zu Wellen, verschwimmt, weicht vor mir zurück …
    Ich habe drei Angestellte. Ángela, die Haushälterin: sie ist nicht meine Frau, aber sie ist die Frau, ohne die hier nichts funktioniert; dann ihr Sohn, ein leutseliger, immer gut aufgelegter junger Mann von 25 Jahren, der auf einer technischen Hochschule Landwirtschaftliche Betriebslehre studiert hatte, aber hinterher keine Stelle fand – er ist der Fahrer des Autos; und schließlich Ángelas Mann, der Gärtner, ein schweigsamer, höflicher Mensch, der mit seinen Händen Wunder vollbringen kann und deshalb alles repariert, was repariert werden muss. Da ich sie anständig bezahle und sie ein gutes Herz haben, kann ich mich darauf verlassen, dass sie auch dann für mich da sein werden, wenn die Blindheit mir am Ende alle Formen nimmt und mir nur noch Licht bleibt, und dass sie, wenn ich schließlich ins ewige Licht eintrete, meine Söhne anrufen und alle mich zum Friedhof von La Mesa bringen und an Saras Seite begraben werden, neben einem dieser toten Palmenstämme, die wie Säulen antiker Ruinen aus dem Boden ragen.
    »Nicht zu glauben, wie sich dieser Eigenbrötler gemausert hat!«, höre ich Sara sagen. »Jetzt will er sogar ein kuscheliges Gemeinschaftsgrab!«

siebzehn
    Wozu legt man sich hin, wenn man weiß, dass man doch nicht schlafen kann. Trotzdem tat ich es, gegen 11 Uhr abends, was hätte ich auch sonst tun sollen. Vom Bett aus konnte ich Sara vor dem Badezimmerspiegel sehen, wie sie sich die Beine mit einer Mandelcreme einrieb, und wieder musste ich die Schönheit ihrer dunklen Haut bewundern,

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