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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás González
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Bewunderung auszudrücken, die ich für Ambers Keckheit und Kreativität empfand.
    Meine gegenständlichen Arbeiten habe ich am liebsten als Radierungen oder in Kohle gemacht. Jahrelang kopierte ich Stiche von Rembrandt, die mich immer fasziniert haben. Meine Kopien wurden so gut, dass Sara sagte, ich würde noch als Fälscher im Gefängnis landen. Ein paar habe ich behalten, darunter die Opferung Isaaks, aber die meisten habe ich vernichtet. Meine großformatigen Bilder, die manchmal fast abstrakt sind, wie das von der Fähre, oder ganz abstrakt, wie die Studien vom Licht und Wasser in Key West, in der New Yorker Bucht und später in den Bergen um La Mesa, und die das Gros meines Werks ausmachen und vielleicht sein bedeutendster Teil sind, die habe ich immer in Öl gemalt.
    (Bezeichnend, wollte ich sagen, nicht bedeutend.)
    »Hallo, ihr Lieben«, begrüßte Sara die beiden. »Und du, Arturo, wolltest du nicht arbeiten gehen?«, fragte sie, und er sagte, er habe sich nicht konzentrieren können und deshalb beschlossen, lieber nach Hause zu kommen, um bei uns zu sein. Ein Freund sei für ihn eingesprungen.
    Arturo und Amber gingen in sein Zimmer und schlossen wie üblich die Tür, aber diesmal war kein Juxen und Kichern zu hören, wie sonst immer, wenn sie herumtollten und sich kabbelten, was ich eher für Kindereien als für ernste erotische Dinge hielt. An diesem Abend nahm sich Arturo seine Gitarre vor, und Amber surfte oder chattete im Internet, oder schlief vielleicht, denn man hörte nichts von ihr.

fünfzehn
    Ich machte Cristóbal ein Zeichen mit der Bürste. Was ihm – nach schlafen und fressen – am meisten auf der Welt behagte, war gebürstet zu werden. Die Haare, die in der Bürste hängen blieben, waren so weich, sauber und weiß, dass ich jedes Mal zu Sara sagte, wir sollten sie sammeln, um damit Kissen zu füllen. Diesmal unterließ ich die übliche Witzelei. Ich hatte eine ganze Reihe alberner Sprüche auf Lager, die ich immer wieder abspulte, so dass es kein Wunder gewesen wäre, wenn Sara mich wegen seelischer Grausamkeit verlassen hätte. Aber diese abgedroschenen Geschichten waren mir auch ein Mittel, um sie zu unterhalten.
    »Habe ich dir schon einmal erzählt, wie glücklich ich als Kind war, wenn die ganze Familie in den Ferien nach Tolú fuhr, am Golf von Morrosquillo?«
    »Nur fünfhundertausend Mal.«
    »Und wenn schon. Mein Vater hatte ein altes Fischerhaus direkt am Meer gekauft, und in den Ferien ging die ganze Familie …«
    Sara hielt sich die Ohren zu und fing an, laut »tralalala« zu singen, um nichts hören zu müssen. Wenn gerade einer der Jungen im Raum war, sagte er dann, fast streng, zu uns:
    »Benehmt euch, Kinder!«
    Ich hielt einen Moment inne und wartete geduldig, bis sie mit dem »Tralalala« aufhörte und die Hände von den Ohren nahm.
    »… und in meinem ganzen Leben war ich nie wieder so glücklich wie damals. Ich war etwa sieben Jahre alt. Als ich am ersten Morgen aufwachte und das Geräusch der Brandung hörte …«
    »Gott behüte, nein!«, rief Sara und machte weiter mit ihrem »Tralalala«.
    Sie ging in die Küche, um die Hähnchenreste vom Mittagessen aufzuwärmen und Brot zu toasten. Sie klopfte an Arturos Tür und fragte, ob sie essen wollten. »Danke, Mami, aber wir waren schon bei McDonald’s …«, sagte er. Sonst hätte er noch »That fucking garbage!« hinzugefügt, um sich über mich lustig zu machen, weil ich meinen persönlichen Boykott von McDonald’s zum Glaubenssatz erhoben hatte.
    In der Wohnung hatte sich eine heimtückische, unterschwellige Stille eingenistet, die sogar anhielt, wenn wir sprachen oder Geräusche machten. Zwei Jahre später habe ich dieselbe Stille, nur in viel größerem Ausmaß, gespürt, als die Twin Towers einstürzten. Sara, die Jungen und ich sahen von unserer Dachterrasse aus, wie sie zusammensackten und auf einmal weg waren. Nachdem sie zu Staub und Rauch und Brandgeruch geworden waren, drang diese Stille, von der ich spreche, in das Quietschen der Subway-Wagen ein, wenn sie um die Kurve fuhren, sie drang in die Stimmen der Menschen in den Restaurants ein, in das Verkehrsgewühl der Canal Street, in das Getöse der Züge und Autos auf den Brücken und sogar in die Sirenen der Feuerwehren. Diese Stille erfasste alles, und man hätte meinen können, dass der New Yorker Lärm, der so vital ist wie der im Urwald von Urabá, von innen heraus erobert und für immer besiegt worden sei. Aber natürlich war es nicht so. Es

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