Das spröde Licht: Roman (German Edition)
ist nie so gewesen.
Wer hätte gedacht, dass ich einmal ein Loblied auf den Lärm singen würde.
»Du musst etwas essen, auch wenn du keinen Appetit hast«, sagte Sara zu mir, als sie mit den Sandwiches und etwas Salat kam. »Die Knochen stehen dir ja schon aus dem Gesicht.«
Lustlos aß ich mein Sandwich und den Salat und trank den kalten Weizen-Milchshake, den Sara den Kubanern in Miami abgeschaut hatte. Zehn Uhr abends. James und Debrah kamen. Michael O’Neal rief an, »nur um Hallo zu sagen«. Er erkundigte sich nicht einmal nach Jacobo. »Ist bei euch alles in Ordnung, Mister David?«, fragte er, und ich sagte, alles okay, Michael, vielen Dank. Er verabschiedete sich und legte auf.
Heute habe ich mit meiner Lupe die letzten Manuskriptblätter durchgesehen, obwohl ich weiß, dass ich dadurch das geringe Sehvermögen, das mir geblieben ist, noch mehr ruiniere. Mir ist aufgefallen, wie sentimental ich im Alter geworden bin. Zum Beispiel, wenn es um Sara und mich geht, neige ich ganz unbewusst dazu, nur von den besten Momenten zu sprechen und manche Dinge, die eher misslich waren, schönzufärben. Vor allem unsere Jahre in Bogotá waren schwierig, wegen des schonungslosen Egoismus eines jungen Menschen, der unbedingt schaffen wollte, was man großspurig »Kunstwerke« nennt. Sara hatte fast drei Jahre lang die Hauptlast zu tragen, mit drei Kindern, während ich mich einschloss und mit den Leinwänden kämpfte, von denen ich nur alle Jubeljahre eine verkaufen konnte und nicht mal viel dafür bekam. Später konnte ich meine Bilder besser an den Mann bringen, aber selbst wenn das nicht so gekommen wäre, das heißt, wenn ich überhaupt nichts verkauft hätte, hätte ich genauso besessen weitergemacht, auch wenn Sara verhungert wäre oder irgendeine Drecksarbeit hätte machen müssen.
Die Nacht, die angebrochen war, würde noch langsamer vergehen als die vorige. Sara sprach lange, eine Stunde und mehr, mit Pablo und Jacobo. Sie legte auf und nach einer Weile rief sie wieder an. Manchmal übernahm ich das Telefon für einen Moment, aber bei mir dauerte das Gespräch nie lange. Sie sprach mit gedämpfter Stimme, natürlich nicht, um mich auszuschließen, sondern weil Mütter so sprechen, die ihre Kinder trösten. Es kam mir fast so vor, als sänge sie, um sie zu beruhigen, oder als nähme ihre Stimme den Tonfall von Wiegenliedern an. »Habt keine Angst vor Gespenstern, Kinder, Gespenster gibt es nicht. Lasst euch nicht von Hirngespinsten schrecken. Es gibt keinen Tod, Kinder. Jacobo wird immer bei uns sein. Habt keine Angst, lasst euch nicht durcheinanderbringen, lasst euch nicht bange machen.« So ungefähr wird sie mit ihnen gesprochen haben, stelle ich mir vor, denn was sonst könnte eine Mutter ihren Kindern sagen? Während ich, der ich immer geglaubt habe, das Einzige, das es gibt, sei das Leben, und dass man, wie ein Dichter sagt, alles verliert, wenn man das Leben verliert, mich im Dunkel einschloss, im Schlafzimmer, um ein paar Minuten lang nichts zu hören und zu sehen.
Ich habe immer darunter gelitten, dass ich nicht fähig war, anderen Trost zu spenden, besonders dann, wenn diese anderen meine Söhne waren.
Zeit ist etwas Merkwürdiges. Vor uns lagen wenige Stunden, jetzt weniger als elf, die mit mehr Schmerz vollgepackt sein würden als meine Pfeilschwanzkrebse in den Jahrmillionen ihrer Existenz je erlitten haben. Und zur gleichen Zeit waren es tote und leere Stunden.
sechzehn
Ich fuhr nach Bogotá zum Augenarzt. Sara und ich hatten uns einen dieser geräumigen Kombiwagen gekauft, im Englischen allgemein Station Wagon genannt, mit Automatik, Vierradantrieb, ein toller Schlitten, wie man so sagt. Sie hat immer am Steuer gesessen, und sie war es auch, die ein so großes Fahrzeug gewollt hatte, weil sie oft Setzlinge, Säcke mit Kuhmist und andere Dinge für den Garten transportierte. Auch Steine und Ziegel hat sie in dieser Luxuskutsche hergekarrt.
Ich selbst bin nur in Miami Auto gefahren, denn anders hätte ich mich in dieser Stadt, in der es fast keine öffentlichen Verkehrsmittel gab, nicht fortbewegen können, und außerdem musste ich immer wieder zu den Keys fahren, wo ich malte und Fotos machte. Ich war ein miserabler Fahrer. Da ich erst mit 45 Jahren den Führerschein gemacht hatte, fuhr ich wie ein 90-Jähriger: langsam und das Lenkrad mit beiden Händen umklammernd, als wollte ich mich festhalten. In New York bin ich dann mit meiner ganzen Ausrüstung immer mit dem Subway gefahren oder mit
Weitere Kostenlose Bücher