Das spröde Licht: Roman (German Edition)
die Schönheit ihres Rückens. Ihre Figur hatte sich mit den Jahren kaum verändert. Das Telefon, das sie mit ins Badezimmer genommen hatte, klingelte. Sie zog sich den Morgenmantel über, antwortete und sprach dann sehr lange und leise mit den Jungen. Sie hatte eine dunkle Stimme, dunkel wie ihre Haut, und mit dieser Stimme war es Sara gegeben, Zärtlichkeit in vielen Nuancen auszudrücken. Ich schloss die Augen, um zu sehen, wie der Schmerz aussah, von dem ich in diesem Augenblick umzingelt war wie auf den Kirchengemälden die Sünder vom Fegefeuer. Ich hielt sie lange geschlossen, und die zwei Bilder, die mir kamen, waren das eines 59-jährigen intelligent aussehenden, höflichen, wenn auch etwas abwesend wirkenden Mannes (ich), der nachts mit langsamen Schritten durch eine einsame Straße der Lower East Side geht und dabei, ohne dass ihm etwas anzumerken ist, von Flammen verzehrt wird; und dann das Bild desselben Mannes, der an einem Sommertag um sechs Uhr abends, ebenfalls in einem Flammenmeer stehend, an einem Geländer im East River Park lehnt und, vielleicht mit einer Zigarette im Mund, auf den Fluss schaut, während neben ihm die Tauben auf dem Boden herumpicken und in der Luft Möwen und Wolken vorüberziehen.
Leid ist nichts Festes, Gleichbleibendes – es ist etwas Unstetes, Fließendes, und seine Flammen, die eher blau sind als orangefarben und rot, bisweilen grässlich fahlgrün, quälen dich in deinem Innern mal auf der einen, mal auf der anderen Seite, und manchmal nehmen sie dich auch ganz ein und dann so heftig, dass du dich in einem stummen Schrei wiederfindest wie der Mensch auf der Brücke auf dem berühmten Gemälde. Nach dem, was ich gelesen habe und was ich von Jacobo und vom armen Michael O’Neal weiß, ist auch der physische Schmerz etwas, das sich ständig bewegt. In ihren Beschreibungen benutzten die beiden vor allem Gleichnisse. »Es ist, als würde mir jemand langsam das Becken durchsägen, Mister David«, hatte Michael gesagt. »Und manchmal ist es, als ob meine Beine aus Eis wären und gleichzeitig in der Glut steckten. Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, ob es sich lohnt zu leben, wenn man so leiden muss. Was meinen Sie?« Und unser armer Jacobo hatte gesagt, es sei manchmal so, als würden seine Fußzehen von einer Presse zerquetscht. Oder als hätte er einen ewig fühlbaren Faustschlag in die Magengrube bekommen. Beide kamen in ihren Beschreibungen fast immer an die Grenze der Sprache, an einen Punkt, an dem ›unbeschreiblich‹ das letzte sagbare Wort ist, bevor es gar keine Wörter mehr gibt und nur noch die stumme Brutalität der Wirklichkeit herrscht.
Trotzdem habe ich, haben wir alle auch Freude erlebt, ja sogar Glück. Die Harmonie der Welt wird nicht einmal in den Momenten schlimmsten Grauens verwischt oder beschmutzt. Goya wusste das, Hieronymus Bosch auch. Als Sara starb, wollte auch ich sterben und war dem Selbstmord nahe. Während der ersten Wochen dachte ich oft daran, mich in eine dieser schönen, nebelverhangenen Schluchten zu stürzen, die es hier in der Umgebung gibt. Nach zwei Aufschlägen auf die Felsvorsprünge wäre von jemandem meines Alters nicht mehr viel übrig geblieben. Ich hätte mich dafür fein gemacht, wie es sich für einen alten, etwas romantisch veranlagten Mann wie mich gehört, hätte den Anzug angezogen, den ich immer bei Ehrungen trage, und hätte so, festlich gekleidet und tot und verdreckt und zermatscht auf das elegante Kreisen der Aasgeier gewartet.
Fünfzig Jahre sinnlicher und geistiger Innigkeit – hier muss ich, weil die Sprache zu arm ist, zwei Begriffe verwenden für etwas, das eigentlich zusammengehört – mit einer Frau, die es verstanden hat, Zärtlichkeit und Lebensfreude genauso zu teilen, wie sie es verstand, Gärten mit Helikonien und Farnen und Palmen und Sietecueros und Teichen und Wasserpflanzen in blühende Wunder zu verwandeln.
Ich hätte allen Grund gehabt, mich in die Schlucht zu stürzen.
achtzehn
Als Sara zu mir ins Bett kam, war es zehn nach elf. Ohne die Augen zu öffnen, hatte ich lange Zeit damit zugebracht, in meinem Innern die Flammen zu betrachten, die ewig zu sein schienen und vielleicht auch ewig waren. Die Zeit ist etwas Elastisches, ihre Ausdehnung hängt von Freude und Kummer ab. Sara hatte nichts an und schmiegte sich mit dem Rücken an mich. Ihre Hand glitt nach unten, um mich zu liebkosen. Ich drang nicht in sie ein, sondern Sara öffnete sich und nahm mich auf. Mit der Hand an
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