Das spröde Licht: Roman (German Edition)
muss, nie zur Sprache kommen; ich hätte gar zu gern einmal gesagt, was ich vom New Yorker Canis zombis familiaris im Gegensatz zum Canis lupus familiaris in Kolumbien oder Lateinamerika allgemein halte. Aber danach fragen mich die Reporter nie, stattdessen nerven sie mich mit langweiligen und schwer zu beantwortenden Fragen über den Post-x und den Post-y oder über den Neo-da und den Neo-dort.
Ich wandte mich von den Hunden ab und kippte meinen Tequila runter. Mich überkam wieder alles, was bevorstand, was schon ablief, und ich hatte das Gefühl, als würde ich zerrissen, als würde mir eben bewusst, dass ich schon seit langem innerlich in Stücke gerissen werde. Ich trank mein Bier. Das Leben war ein grauenhafter Traum. Während ich das schreibe, muss ich an die Kathedrale Sagrada Familia denken und wie schön mir der Alb ihres Architekten erschienen war; und ich denke an den Garten der Lüste. Nichts von alledem kam mir damals zu Hilfe. Das Grauen hatte keine ästhetische Dimension, nichts Schönes oder Harmonisches. Damals, in jener Bar, in der der arme Dicke erwürgt worden war, fühlte ich nur diesen fürchterlichen Kloß im Hals und eine wahnsinnige Last auf meinen Augen, als seien sie einzementiert.
Horseshoe Bar hieß sie oder heißt sie noch immer, so wie meine tenebristischen, inzwischen berühmt gewordenen Pfeilschwanzkrebse.
Ich ging in die Wohnung zurück, und wir riefen die Jungen an. Pablo sagte, Jacobo sei wegen des mehrmals verschobenen Arztbesuchs sehr unruhig geworden und habe starke Schmerzen gehabt. Nach einer langen Massage und vier Tabletten, die ausgereicht hätten, einen Stier umzuwerfen, sei er eingeschlafen. Pablo sprach von der Rezeption des Holiday Inn aus, damit Jacobo nicht aufwachte und das Gespräch mitbekäme. Als ich ihn fragte, ob seinem Bruder vielleicht Zweifel gekommen seien, sagte er, das wisse er nicht. Es wäre allerdings möglich, denn Jacobo sei sehr still geworden, nachdem er das letzte Mal mit dem Arzt gesprochen hatte, und wenn er jetzt den Mund aufmache, dann nur, um über seine Schmerzen zu klagen. »Er ist unausstehlich, Dad«, sagte Pablo. »Aber das ist ja auch klar, oder? Was immer er entscheidet, wir werden es respektieren«, fügte er hinzu.
Gegen neun kamen Arturo und Amber, seine damalige Freundin. Arturo und ich sind uns in vielen Dingen ähnlich, aber in einem Punkt nicht: Nicht dass er ein Schürzenjäger wäre, denn wenn er eine Freundin hat, ist er ihr treu, aber er hat mehrere gehabt. Eigentlich nicht zu viele, gerade mal drei, Amber mitgezählt, bis er seine jetzige Freundin kennenlernte, Estella, mit der er schon acht Jahre zusammen ist. Na ja, auf jeden Fall mehr als ich. Amber hieß früher Maria oder so ähnlich und hat sich selbst einen neuen Namen gegeben, weil sie den alten langweilig fand. Sie war eine Schönheit. Kleiner als Debrah, was etwas heißen will, und sehr aufgeweckt und intelligent. Jede ihrer wohlgeformten Ohrmuscheln war mit neun kleinen Silberringen bestückt, einer für jedes Lebensjahr. Sie schminkte sich die Lippen blauschwarz, lackierte sich die Fingernägel blauschwarz, und der Lidschatten, den sie auflegte, war blau. Sie trug Silberringe an allen Fingern, Stiefel aus Schlangenhautimitat, Blusen aus weißer Seide und Jacken und Westen und Hosen aus Leder. Das war im Winter. Im Sommer trug sie Silberkettchen an den Knöcheln, schwarze Trägerhemden, schwarze Pluderhosen und Sandalen in knalligen Farben oder aus durchsichtigem Plastik. Alles von bester Qualität, denn sie kam aus einer wohlhabenden Familie. Sie wohnte bei ihren Eltern im West Village. Ein paar Monate zuvor, als sie achtzehn und damit volljährig wurde, ließ sie sich die Schultern, die Arme und den oberen Teil des Rückens mit 15 dunkelroten Rosen tätowieren, einer kleinblütigen Sorte, die man hier cecilia nennt und die einen Durchmesser von etwa zwei Zentimetern und kaum Blätter und Dornen hat. Einmal war ich so unvorsichtig, in Ambers Gegenwart zu Arturo auf Spanisch zu sagen, sie sähe aus wie ein kleines Kunstwerk, das man in ein Regal stellen sollte. Und was macht der Esel? Geht hin und übersetzt es ihr:
»My dad says that you look like a little piece of art to be put on a shelf.«
Sie störte das gar nicht, ich glaube, sie fand es eher lustig oder fühlte sich sogar geschmeichelt. Ich machte von Amber natürlich viele Skizzen mit Kohlestift und auch eine Reihe von Radierungen, mit denen ich sehr zufrieden war, weil es mir gelang, darin die
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