Das spröde Licht: Roman (German Edition)
letzte Woche gebeten, mir auf dem Markt einen Strauß Rosen zu kaufen und mich zu Saras Grab zu begleiten. Die Sachen, die man im Alter macht, verblüffen mich manchmal. Ich glaube überhaupt nicht an ein Leben im Jenseits, auch nicht, dass ein Toter etwas anderes ist als ein Häufchen Minerale und Lumpen mit widerlichen, wenn auch unschuldigen Maden und Würmern – doch jetzt seht mich an, wie ich mich für den Tod in Schale geworfen habe: der Krückstock mit seinem etwas prätentiösen Silberknauf, den ich einmal in einem Antiquitätenladen in New York gekauft habe, nicht weil ich ihn damals gebraucht hätte, sondern einfach weil er mir gefiel; die Baskenmütze, ein Mitbringsel der Jungen aus New York; ein schwarzer Baumwollblazer; dunkelgraue Levis-Jeans; braune Wildlederschuhe; der schwarze Ledergürtel mit einer schlichten silbernen Schnalle; mein bestes, bis zum Hals zugeknöpftes Hemd; kurzum, in meinem Sonntagsstaat, den ich auch angelegt hätte, um mich in die Schlucht zu stürzen. Seht mich also an, wie ich hier an Saras Grab stehe und mich bücke, um ihr zwölf gelbe, rotrandige Rosen hinzulegen. »Ich, das ist ein anderer«, hat ein Dichter gesagt, der Franzose war, aber er hat es gesagt, als sei er Li Bai. Eine Krawatte hatte ich nicht an, denn ich habe keine.
Nachher werde ich versuchen, Ángela zu diktieren, denn meine Augen sind schon wieder völlig erschöpft.
Ich musste mich eine Weile hinnlegn, denn ich konnte nichtsmehr sehn. Ángela legte mir ein feuchtes Hantuch über die Augen, damit sie sich endspannten. Ich wahr dabei zu erzehlen, wie wir um ein Uhr morgens alle am Küchentisch sassen. Wir redeten nicht vihl, und am Ende beschlossen wir, die Jungen anzurufen und reium mit ihnen zu sprechn. Auch Debrah und James sprachen mit ihnen und machten ihnen Muht …
Ich fand Ángelas Rechtschreibung hinreißend. Wie sehr berührt einen doch die Schönheit, wenn man sie am wenigsten erwartet! In meinem Alter bin ich freilich leicht zu rühren und kann fast an allem etwas Schönes finden. Meine älteste Schwester, die wunderbar schreiben konnte, stand mit der Orthographie auch auf Kriegsfuß, und wo sich ein Wort für einen Fehler anbot, machte sie ihn, genau wie Ángela. Ich glaube, es handelt sich um Legasthenie. Außerdem hat sie eine schöne Handschrift, Ángela, aber wenn ich das von ihr Geschriebene durchlese, um zu sehen, wo ich stehengeblieben war, dann werde ich unweigerlich abgelenkt (und das ist keine Ironie), wenn ich auf Perlen wie ›Hantuch‹ oder ›endspannen‹ stoße, und verliere den Faden. Es ist auch nicht einfach mit ihr, weil sie dauernd nachfragt, zum Beispiel:
»De wie?«
Und ich muss buchstabieren: »De-e-be-er-a-ha. Debrah. Mit großem D. Das ist ein Name.«
»Mit h am Ende?«
»Ja, Ángela.«
»Heißt es nicht Débora?«
Ich könnte natürlich auch ihrem Sohn diktieren, der bestimmt besser schreibt, aber ich möchte nicht, dass meine Angelegenheiten, die manchmal kompliziert oder sehr persönlich sind, durch die haarigen Hände eines Macho sapiens gehen, vor allem, wenn es einer ist, der so gern redet.
Um Ángela nicht zu kränken, weil ich nicht weiter diktieren wollte, sagte ich so taktvoll, wie ich konnte, wenn ich ihre Schreibweise von ›Hantuch‹ läse, könne ich mich nicht mehr auf den Text konzentrieren.
»Für mich ist ein Handtuch immer noch dasselbe Handtuch, Don David, egal ob man es mit d oder mit t schreibt«, erwiderte sie.
Ich trat ganz nah an sie heran, um ihr in die Augen schauen zu können, und strich ihr über die Wange.
»Nichts für ungut, Ángela, ich werde dich eh wieder zum Schreiben brauchen, wenn ich ganz blind bin.«
Ich legte eine Sonate von Bach für Violine und Cembalo auf, aber von Glenn Gould auf dem Klavier gespielt. Ich höre die Musik über den Computer, den meine Söhne so eingerichtet haben, dass alles auf dem Bildschirm riesengroß und deutlich erscheint. Fünf Uhr nachmittags. In etwa einer Stunde werden die Fledermäuse kommen und an den Rand des Ewigen Lichtes fliegen. Lassen wir das Gespräch am Küchentisch in New York lieber bis morgen – es fällt mir schwer, darüber zu schreiben. Ángela war überhaupt nicht beleidigt; sie ging mir den Kaffee holen, um den ich sie gebeten hatte, einen extra starken, weil ich für die Musik ganz wach sein wollte. Ángela ist rundlich und etwas gedrungen, nicht schwabbelig, sondern stabil und kräftig, sie hat einen großen Busen und ein schönes Gesicht. Große, klare
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