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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás González
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Arie aus den Bachianas Brasileiras, aber ich hatte keine Ahnung, was sie sang, denn der Text ist portugiesisch.
    Um sechs Uhr abends brachte Ángela mein Bier und verabschiedete sich. Es kam mir so vor, als wolle sie mir etwas sagen, traue sich aber nicht. Das war schon früher vorgekommen, und dann war es immer ein Familienproblem, dessentwegen sie mich schließlich um Rat fragte. Ich schätze Ángela sehr und lasse mich deshalb immer darauf ein, über ihr Problem nachzudenken und ihr zu einer vernünftigen Lösung zu raten, will sagen, zu einer Lösung, die mir vernünftig erscheint. Bestimmt wird sie mich morgen oder spätestens übermorgen ansprechen.
    Ich blieb auf der Veranda sitzen, in meinem Regisseurstuhl mit dem sonnenblumenfarbenen Segeltuch. Die Einsamkeit ist wie eine frische Leinwand, die scheinbar leer ist, trügerisch leer. Um sieben Uhr ging ich ins Haus zurück und schloss Türen und Fenster; dabei musste ich die Griffe und Riegel ertasten, denn abends sind meine Augen noch schlechter. Ich setzte mich in den Ledersessel. Mich fröstelte, und ich stand auf, um den dicken Pullover aus Alpakawolle zu holen, den Sara mir, kurz bevor wir New York verließen, geschenkt hatte – ein bequemes, teures, schönes Stück, wie alle ihre Geschenke. Ich kehrte zum Sessel zurück und saß dort vielleicht 30 Minuten lang, ohne mich zu rühren. Dann fing irgendwo im Wohnzimmer eine Grille an zu zirpen, so schön und urgewaltig, als gäbe es nur sie auf der Welt. Es sind dunkle, nachtaktive, hässliche Tiere, die etwas Kakerlakenhaftes haben und ein durchdringendes Zirpen von sich geben, das nicht jedem gefällt. Und mit einem Mal füllte sich meine Einsamkeit mit dem Universum.

zweiundzwanzig
    Von Saras Küssen auf die Augen wurde ich etwas ruhiger. Jetzt war es etwa zwei Uhr früh. Auch in dieser Nacht war an Schlafen nicht zu denken. Ich schaltete das Licht über der Staffelei an und versenkte mich in das Bild; die anderen blieben am Küchentisch sitzen, redeten und tranken Tee oder schwarzen Kaffee. Das Festnetztelefon klingelte. Ich wusste sofort, wer es war. Nahm den Hörer ab.
    »Guten Abend, Mister David«, sagte Michael O’Neal.
    Er entschuldigte sich wegen des späten Anrufs und fragte, ob Venus da sei. Ich sagte, ja, und er bat mich, sie ans Telefon zu rufen, wenn es möglich wäre. Ich rief sie. Venus bedankte sich, lächelte mir zu und ging an den Apparat in Jacobos Zimmer, wo sie frei reden konnte. Venus hatte mich lange Zeit Mister David genannt, so wie Michael, bis ich sie dazu bringen konnte, den Mister wegzulassen und meinen Namen spanisch auszusprechen. Auch sie sah angespannt aus.
    »Willst du einen Kaffee?«, fragte Sara, die aus der Küche gekommen war und jetzt auf das Bild schaute.
    »Ich kriege den Abgrund nicht hin«, sagte ich.
    Sie schaute weiter auf das Bild.
    »Da bin ich anderer Meinung«, sagte sie schließlich. »Willst du nun Kaffee oder nicht?«
    »Kaffee, Kaffee, Kaffee«, sagte ich schnell, um mir die freudige Erregung nicht anmerken zu lassen, die ihr Kommentar über das Bild in mir ausgelöst hatte und die bestimmt in meinen Augen zu sehen war. Angesichts der Umstände, in denen wir uns befanden, erschien es mir unpassend, ja sogar anstößig, dass in mir so etwas wie Freude aufkam, aber Sara konnte sie jedenfalls nicht sehen, oder sie spürte sie, ohne es sich anmerken zu lassen, denn sie drehte sich um und ging in die Küche. Als sie mit dem Kaffee zurückkam, sagte sie, was sie gemeint hatte:
    »Jetzt kommt der Schaum wunderbar heraus.«
    Der Schaum war mir von Anfang an gelungen, und ich hatte auch nichts mehr daran geändert, aber der Kontrast mit dem Wasser war stärker geworden, so dass der Schaum jetzt intensiver leuchtete. Ich habe meine Bilder immer mit Leib und Seele gemalt (trotzdem ist es dem einen oder anderen Kritiker eingefallen, sie ›kalt‹ zu nennen), aber dem Gemälde von der Fähre hatte ich mich derart verschrieben, als hinge unser aller Leben davon ab. Es war ein Kampf gegen den Untergang, in dem ich dem Chaos Form geben musste, um es zu bezwingen – als packte ich einen Teufel am Schwanz, um ihn gegen die Wand zu schmettern. Seltsam, wie die religiösen Bilder aus meiner Kindheit im erzkatholischen Envigado wieder hochkamen, jetzt aber verwandelt und in dem ziemlich absurden Zusammenhang mit einem fast abstrakten Gemälde, das nur ein Dummkopf ›kalt‹ nennen kann.
    Venus kam herein und sagte, Michael wisse jetzt über Jacobo Bescheid und

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