Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
an.
„Dein Geschenk“, zischte sie, „kannst du dir in deinen fetten, hässlichen Arsch schieben.“
Der Hofrat schluckte.
„Ich will das Geschenk nicht“, fuhr sie fort. „Es sind ja doch nur wieder irgendwelche geilen Stiefelchen. Wie du weißt, besitze ich schon Dutzende. Du schenkst mir jedes Jahr zu Weihnachten welche. Es wird allmählich langweilig!“
Sie raffte den Saum ihres Rockes, und der Hofrat starrte atemlos auf ihre perfekten schlanken Knöchel in den Lackschuhen.
„Ich sage dir, mit welchem Geschenk du mir eine richtige Freude machen würdest. Ich will Julius Pawalet. In einem Sarg!“ Und dann rammte sie den spitzen Absatz ihres Schuhes direkt in den Körper der Gans.
„Das ist es, was ich will, und du wirst es mir erfüllen. Wenn du es nicht tust, wirst du noch bereuen, dass du mich geheiratet hast.“ Dann verließ sie ohne ein weiteres Wort den Salon. Auf dem Gang verklangen ihre hastigen Schritte.
Mit einem gequälten Seufzen sank er auf die Knie. Er hatte Luise wieder einmal unterschätzt. Sie hatte ihn schon so oft auf diese Weise bestraft, und er wusste, dass sie es bitterernst meinte.
Bisher hatte er seiner Frau jeden Wunsch erfüllt. Doch diesen Wunsch?
Traurig und wie gelähmt starrte er auf die Krautfäden, die wie ein Unterwassergewächs langsam an der Wand nach unten rutschten. Er musste etwas tun, am besten jetzt gleich. Der Abend war nicht mehr zu retten. Und wenn er nicht tat, was Luise verlangte, wäre auch der Rest seines Lebens nicht mehr zu retten.
Der Duft der Weihnachtsgans drang ihm in die Nase und löste eine schmerzhafte Sehnsucht in ihm aus. Für einen Moment erwog er, die Gans zu nehmen und ein Stück davon abzubeißen. Doch dann sah er sich einen Moment lang mit den Augen Luises und zuckte zusammen. Er wäre nicht mehr als ein armseliger, verfressener Schwächling, wenn er das täte. Also rappelte er sich keuchend auf, klingelte nach dem Mädchen und verließ den Salon. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte die Wut seinen Hunger besiegt.
***
Die tiefverschneiten Straßen waren menschenleer. Ohne aufzusehen, stieg der Hofrat aus seiner Kutsche und tastete nach seinem dicken Schlüsselbund.
„Haben S’ noch was zum Schaffen, der Herr?“, fragte der Kutscher.
„Genauso wie Sie!“, zischte der Hofrat, warf ihm ein paar Münzen hin und strebte auf das riesenhafte Gebäude zu, das unbeleuchtet vor ihm aufragte. Die Stille der Heiligen Nacht schnürte ihm die Kehle zu. Er war ganz allein auf der Ringstraße. Vom Turm der Karlskirche wehten schwermütig zehn Glockenschläge zu ihm herüber, und Viktor von Schattenbach beschleunigte den Schritt. Blind zog er einen Schlüssel hervor und steckte ihn ins Schloss der Hintertür. Rasch schlüpfte er durch den dunklen Spalt und erschrak, als die Tür krachend ins Schloss fiel. Das Echo verhallte wie eine Geisterstimme in den marmornen Korridoren des Kunsthistorischen Museums.
Der Hofrat schauderte vor der tiefen Stille in dem Gebäude. Fast war es ihm, als beträte er ein riesiges Grab, doch er wusste, dass er nicht allein im Museum war.
Schnaufend stieg er eine Nebentreppe hinauf und sah sich immer wieder ängstlich um. Er musste ohne Licht auskommen, denn von draußen durfte auf keinen Fall zu erkennen sein, dass sich jemand in dem geschlossenen Gebäude aufhielt. Eine dämmrige Mischung aus Mondschein und Laternenlicht sickerte ins Treppenhaus und beleuchtete gerade einmal die nächsten zwei Stufen.
Der Hofrat fühlte eine gespenstische Stimmung ringsum. Er war mit den Räumen des Prunkbaus so vertraut wie mit den Gängen der Hofburg. Doch er war noch nie nachts hier gewesen. Und nie mit solchen Absichten.
Während er schwer atmend Stufe um Stufe erklomm, stieg ein schrecklicher Gedanke in ihm auf. Was, wenn es sich rächen würde?
Das Museum? Oder der Geist der Kunst, der darin wohnte? Die Enge in seiner Brust wurde beklemmend. Ja, dachte er, das hier ist ein Grab, ein riesiges, geplündertes Grab. Und falls es einen Fluch barg, wäre er wohl der Erste, der davon getroffen wurde.
Keuchend erreichte er den Treppenabsatz der Hauptebene. Ein kaum wahrnehmbarer Lichtschein war unter der Tür zu sehen.
Der Hofrat betrat den Saal mit der Nummer XI und zog fröstelnd die Schultern hoch. Um ihn herum lauerten gespenstische Gesichter in der Dunkelheit. Totenbleiche Finger griffen nach ihm. Er fing an zu laufen. Schaudernd senkte Viktor von Schattenbach den Blick und eilte durch das Spalier der stummen
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