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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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perfekt ausgesucht, um als Saaldiener im Kunsthistorischen Museum Ohren und Augen offen zu halten. Er war es, der Kinsky mit seiner ständigen muskelbepackten Anwesenheit an ihre Vereinbarung erinnerte. Er war es, der Grimminger in sein Atelier begleitete, wenn der die Kopien der Gemälde mitnahm. Und Kranzer war unschätzbar bei der Beseitigung Joseph Pawalets gewesen. Der Mann war eine Waffe in Saaldieneruniform. Unauffällig und zuverlässig. Kaum vorstellbar, dass derselbe Louis Kranzer in diesem Moment mit seiner Frau Geschenke auspackte. Die würde es dieses Jahr bei ihnen reichlich geben. Der Hofrat hatte ihn fürstlich bezahlt.
    „Warum sind Sie denn so angespannt?“, wollte der Maler wissen. „Seien Sie doch dankbar für diesen irren Mörder, dem wir die Schließung des Museums zu verdanken haben. Ich habe noch nie so ungestört arbeiten dürfen. Das sind traumhafte Bedingungen.“
    Der Hofrat ging nicht darauf ein. Grimminger wusste nichts von dem Mann, der sein Auftraggeber war. Er wusste nichts von dessen ungeduldiger Willkür und von seinem gierigen Arm, der bis über den Atlantik reichte und den Hofrat am Kragen packen konnte. Schattenbach wagte nicht an die astronomische Summe zu denken, die er dem Amerikaner immer noch schuldete.
    „Sagen Sie dem Kranzer, wenn er das nächste Mal kommt, dass es so weit ist.“
    „Was ist so weit?“, fragte Grimminger unschuldig.
    „Die Sache mit dem Pawalet. Er soll es in Angriff nehmen.“
    Grimminger seufzte in gespielter Wehmut. „Muss das wirklich sein? So eine Verschwendung von Talent und Größe. Der Junge kommt ganz nach seinem Vater.“
    „Und eben deswegen wird Kranzer sich um ihn kümmern“, zischte der Hofrat.
    „Können Sie es ihm nicht selbst sagen? Ich soll hier ein Gemälde kopieren und nicht einen Mord in Auftrag geben“, sagte Grimminger wehleidig.
    „Wir sind im Verzug. Es wird langsam brenzlig. Sagen Sie es ihm einfach; er wird wissen, was zu tun ist.“
    Eine Weile schwiegen sie. Nur das Knarren der Holzdielen war zu hören und das Glucksen, das aus Kinskys Brust drang. Dann fragte Grimminger: „Was ist denn aus der Sache mit dem Rubens-Gemälde geworden. Mit der Beweinung . Wird der Fall weiterverfolgt?“
    Der Hofrat schnaubte. Das war noch so eine Angelegenheit, die ihn drückte wie ein spitzer Stein im Schuh.
    „Na, was glauben Sie wohl? Wir haben Groukoult eingeschärft, dass er seine Meinung öffentlich zurückziehen soll. Er hat sich geirrt. Ich gebe zu, dass wir ihn dabei ein wenig … hart angefasst haben. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass der Mann sich gleich umbringt.“
    „Und was ist mit dem Bild?“
    Der Hofrat seufzte. Er hatte Die Beweinung Christi vor 15 Jahren an Pirnowsky verkauft. Das war zu der Zeit gewesen, als die Gemälde aus dem Oberen Belvedere verpackt und ins neu errichtete Museum am Ring gebracht worden waren. Kinsky war damals Stellvertretender Direktor des Belvedere gewesen und wusste bereits seit längerem, dass er für den Posten des Direktors im Kunsthistorischen Museum vorgesehen war. Der Umzug der kaiserlichen Gemäldesammlung wurde zwar streng überwacht, aber dennoch war es Kinsky gelungen, dem Kunstsammler Pirnowsky einzureden, dass es von Rubens’ Beweinung Christi einen Doppelgänger gebe. Das Bild hing in geringer Abänderung bereits in Amsterdam, und in einer anderen Privatsammlung in Wien gab es ein werksverwandtes Bild, das seinerzeit van Dyck gemalt hatte. Warum also nicht auch ein Doppel aus der Hand von Rubens?
    Die Herkunft vieler Bilder der Gemäldesammlung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht hinreichend geklärt. Es gab viele Leerstellen bei den Herkunftsnachweisen, und Kinsky behauptete gegenüber dem Sammler, dass dieses Bild in der Galerie aufgetaucht, aber in keinem Verzeichnis vermerkt sei. Er als Museumsdirektor habe beschlossen, das Bild lieber an einen diskreten Kunstliebhaber zu veräußern, als dass es im Depot des Museums dem Vergessen anheimfallen würde. Und da Pirnowsky keine genauen Nachforschungen anstellte und Kinsky ihn als gierigen und verschwiegenen Mann kannte, gab es bei der Abwicklung des Verkaufs keine Schwierigkeiten. In Wahrheit aber verkaufte Kinsky das echte Gemälde an den Mann. Das Bild, das offiziell im Gemäldeverzeichnis auftauchte, wurde als Original angesehen. Als es jedoch aufgehängt wurde, bemerkte niemand, dass das Bild genauso wenig mit Peter Paul Rubens zu tun hatte wie ein rußgeschminkter Othello-Darsteller mit einem echten Afrikaner.

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