Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
erholte sich von einem schweren Trauma, das er bei einem schrecklichen Zugunglück in Ungarn erlitten hat. Seine Frau und seine beiden kleinen Söhne sind vor seinen Augen verbrannt. Der Mann verfiel daraufhin in einen schweren katatonischen Zustand. Verwandte haben ihn bei sich aufgenommen und versucht, ihn gesund zu pflegen, aber Rohrbach verfiel körperlich derart, dass sie die Pflege aufgeben mussten. Er war finanziell sehr gut gestellt und hatte bei uns ein Einzelzimmer. Ich kann mit Stolz sagen, dass wir Ludwig Rohrbach als gesunden Mann wieder entlassen haben.“
Der Arzt lächelte zufrieden und klopfte mit den Fingerspitzen auf die Akte.
„Und dieser Ludwig Rohrbach“, sagte Lischka, „in was für einer Beziehung stand er zu Alois Lanz?“
„Nun, die beiden haben sich hier kennengelernt. Sie haben ziemlich viel Zeit miteinander verbracht. Ich möchte sogar sagen, dass Alois Lanz dazu beigetragen hat, dass Herr Rohrbach sich seiner Umgebung wieder geöffnet hat.“
„Wie hat er das denn geschafft?“ Lischka konnte nicht verhindern, dass in seiner Stimme ungläubiger Spott mitschwang.
„Wie meinen Sie das?“ Bruckner reagierte auf Lischkas spöttischen Tonfall mit einer gewissen empörten Schärfe, wie der Inspektor fand. Der nette, geduldige Arzt zog sich langsam zurück und machte einem kühlen, abweisenden Mann Platz, der nicht zulassen wollte, dass ein Polizist sich kritisch über die Anstalt äußerte.
Lischka straffte sich. „Ich frage mich, wie das geht. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, Herr Doktor, aber ich habe immer gedacht, dass in einer Irrenanstalt die Insassen streng voneinander getrennt werden. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass ein Verbrecher wie Lanz, der aus dem Gefängnis kommt, und ein wohlhabender Traumapatient miteinander plaudern.“
Das Gesicht des Arztes nahm einen vorwurfsvollen Zug an. „Das sieht Ihnen ähnlich!“, sagte er anklagend. „Sie glauben wohl, dass die Psychiatrie immer noch in den Narrenturm-Tagen steckt, was? Dass man seelisch gestörte Menschen absondert und ankettet. Aber die Zeiten sind vorbei, mein Herr. Wir unternehmen hier große Anstrengungen, um diesen Menschen zu helfen und sie in ein gesundes Leben zurückzuführen. Und dazu gehört nun einmal, dass die friedfertigen, gutartigen Insassen zusammen im Anstaltsgarten spazieren gehen und die Mahlzeiten gemeinsam einnehmen. Wie sollen sie lernen, sich erneut in die Gemeinschaft einzugliedern, wenn man ihnen den Kontakt zu ihren Mitmenschen verwehrt?“
„Schon gut, ich habe Sie verstanden“, beschwichtigte Lischka. „Und Sie haben also beobachtet, dass Lanz und Rohrbach viel Zeit miteinander verbracht haben.“
Der Arzt nickte.
„Wie würden Sie den Kontakt zwischen den beiden beschreiben?“
„Sie haben viel miteinander geredet. Die Beziehung zwischen den beiden machte einen gefestigten, freundschaftlichen Eindruck auf mich.”
„Und was ist dann passiert?“
„Nun, wie gesagt, Rohrbach wurde nach drei Jahren entlassen. Sein Zustand hatte sich so gebessert, dass er wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Er hatte ein beträchtliches Vermögen und konnte gut für sich sorgen.“
„Und Lanz? Wie hat er auf den Weggang seines Freundes reagiert?“
Ein angestrengter Ausdruck erschien auf Bruckers Gesicht. Er dachte einen Moment lang nach und blätterte dann in der anderen Akte. Lischka nahm an, dass er die Protokolle aus der damaligen Zeit las.
Der Arzt blickte auf und kratzte sich am Kopf. „Nun … also hier steht, dass Lanz im darauffolgenden Jahr beachtliche Fortschritte gemacht hat.“
„Was heißt das genau?“, fragte Lischka.
„Er wurde ruhiger und …“
„Warten Sie“, unterbrach ihn der Inspektor. „Mich interessiert, was Lanz für Symptome hatte. Worin genau bestand seine geistige Störung? Was waren das für wahnhafte Phasen? Warum wurde er aus dem Gefängnis in die Irrenanstalt verbracht?“
Brucker lehnte sich zurück und schob die Akten beiseite. „Alois Lanz war eine zutiefst tragische Person. Er hatte eine erstklassige Ausbildung an der Akademie hinter sich und nur den einen Wunsch, am Hof des Kaisers zu malen.“
„Ja, ja“, unterbrach Lischka ihn wieder. „Die Vorgeschichte ist mir bekannt.“
„Nein, sie ist Ihnen nicht bekannt!“, fauchte der Arzt und beugte sich vor. „Dieser Mann ist Ihnen als Verbrecher bekannt, Herr Inspektor, aber für mich war er ein Mensch mit einer gewissen Vorgeschichte, die zu dieser traurigen
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