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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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seit seiner Einlieferung darauf bestanden, mit mir zu sprechen, und er hatte einen großen Erklärungsbedarf. Er hat versucht zu verstehen, was er da getan hatte, und nach einer Weile kam er in eine Phase der Selbstreflexion und hat sich geschämt für sein Vergehen. Und in der ganzen Zeit hat er mir versichert, dass er seinen Fehler eingesehen habe.“
    „Was für einen Fehler?“, fragte Lischka.
    „Den Fehler, zu glauben, dass er für die Kunst geschaffen sei. Er erzählte mir, dass er zu lange in der Annahme gelebt habe, er sei ein Künstler. Hier, ich kann Ihnen eine wortwörtliche Aussage von ihm vorlesen.“ Brucker zog die Akte wieder zu sich heran und blätterte in den Papieren. „Ah, hier ist es. Er sagte wortwörtlich bei einer Sitzung am 12. Februar 1899: „ Nicht jeder Mann, der die Bildenden Künste studiert, ist automatisch ein guter Künstler. Aber nicht jeder wahrhaft große Meister muss die Künste studieren. Ich denke nun, dass ich weiß, warum man mich bei Hofe abgelehnt hat. Ich bin wahrscheinlich ein technisch begabter Maler, aber kein Künstler, und das hat der Kaiser erkannt. Wer bin ich, dass ich dieses Urteil nicht akzeptiere? Ich werde es mir in meinem Leben nie mehr anmaßen, einen Pinsel in die Hand zu nehmen. Und ich denke, es ist angebracht, dass ich beim Kaiser wegen des Vorfalls um Entschuldigung bitte. Ich bin jung und gesund. Ich kann arbeiten. Ich muss mir nicht einreden, dass ich ein Künstler bin … Warum lachen Sie, Inspektor?“
    „Weil es sich in meinen Ohren ganz genau danach anhört, was die Verantwortlichen, die ihn begnadigen und freilassen könnten, gern hören wollen.“
    „Oh, da liegen Sie ganz falsch. Es ist noch nie ein Straffälliger einfach so freigelassen worden, nur weil er Reue zeigt. Aber letztendlich hat die überraschende Heilung und Einsicht von Lanz dazu beigetragen, dass er ganze vier Jahre früher in die Freiheit entlassen wurde.“
    „Er muss sich in dieser Freiheit verdammt wohl gefühlt haben, wenn er sich nach drei Wochen umbringt.“
    Doktor Brucker senkte betreten den Kopf und seufzte. „Auch mir ist das ein Rätsel, Inspektor. Ich kann es mir nicht erklären. Obwohl … nun ja, der Abschiedsbrief, den er hinterlassen hat, war sehr aussagekräftig.“
    „Was stand drin?“, fragte der Inspektor.
    „Nun, er hat geschrieben, dass die Welt sich gewandelt habe in der Zeit, während er im Gefängnis war, und dass er sich nicht mehr zurechtfinde und keinen Weg für sich sehe … Dabei machte er so einen gefestigten Eindruck. Sein Entschluss ist mir ein Rätsel.“
    „Oh, mir ist das kein Rätsel“, erwiderte Lischka. „ich finde sogar, dass die Sache ziemlich klar ist. Auch wenn es Ihre Berufsehre als Psychoanalytiker untergräbt, aber ich glaube, Alois Lanz hat sie an der Nase herumgeführt. Sagen Sie, hat sein alter Freund Rohrbach ihn denn besucht, nachdem er entlassen worden war?“
    Der Arzt nickte.
    „Und wissen Sie, was Rohrbach heute macht?“
    Brucker verneinte.
    „Gut, haben Sie ein Bild von Rohrbach in dieser Akte?“
    Brucker blätterte in den Seiten und zog eine verblichene Fotografie hervor. Lischka legte sie neben das Bild von Alois Lanz.
    Er betrachtete die Gesichtszüge von Lanz und empfand ein seltsames Bedauern, dass der Mann eine derart leere, fast schon unfertige Physiognomie hatte. So sollte ein Mensch nicht aussehen, dachte er. So flach und nichtssagend. Die Augen erschienen auf dem Bild wie zwei fahle Flecken, sein Mund war nur ein dicker Fleischwulst. Die Augenbrauen wie zwei lieblos hingepinselte Striche. Nichts hielt dieses Gesicht zusammen. Es war nur eine lose Verbindung menschlicher Merkmale, aber dahinter konnte sich genauso gut Stroh oder Stoff befinden. Ja, das Gesicht von Alois Lanz wirkte wie ein hastig gefertigter Rohling, als hätte die eigentliche Ausarbeitung des Gesichtes nie stattgefunden.
    Und doch war diese verstörende Unauffälligkeit genau das, was Alois Lanz gebraucht hatte, um unerkannt weiterzumachen. Lischka betrachtete die beiden Aufnahmen. Ludwig Rohrbachs Gesichtszüge ähnelten denen von Lanz verblüffend. Nicht dass sie aussahen wie Zwillinge, nein. Aber in Rohrbachs Gesicht fand sich der gleiche leblose Ausdruck wie bei Lanz. Die beiden Männer waren nichts als unpersönliche Masken. Austauschbar.
    Lischka drehte die Bilder so, dass der Arzt sie sehen konnte. „Fällt Ihnen etwas auf?“
    „Ja, die beiden sehen sich ziemlich ähnlich. Aber worauf wollen Sie hinaus?“
    In diesem

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