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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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Ich muss Zeit gewinnen.
    „Du willst es unbedingt wissen, nicht wahr?“, säuselte der Mann. „Du scheinst einen ausgeprägten Hang zum Masochismus zu haben. ….Der heilige Thimeo von Salzburg war ein bedauernswerter Zeitgenosse. Er begab sich kurz nach 1100 auf einen Kreuzzug in die Türkei. Dort starb er den Märtyrertod. Weißt du, was eine Darmspindel ist?“
    „Eine was?“, stöhnte Julius. Immer noch sickerte kein Bild in sein Gedächtnis. Doch plötzlich wusste er, wozu das grobe Holzgestell neben ihm gedacht war.
    „Ah, ich sehe an deinem Gesicht, dass du langsam begreifst, Julius“, stellte der andere zufrieden fest. „Schau, dieses Messer in meiner Hand – dem heiligen Thimeo wurde damit in einem Schnitt von oben nach unten der Bauch aufgeschlitzt. Und dann nahmen seine Peiniger ein Stück seines Darms, nagelten es an die Spule und kurbelten – natürlich schön langsam – Zentimeter für Zentimeter das Gekröse aus seinem Leib. Wie sich das wohl angefühlt haben mag? Und der Anblick erst?
    Wenn Thimeo Glück hatte, ist er rasch ohnmächtig geworden und an einem Schock gestorben. Oder er ist schnell verblutet. Aber er war ein starker, kämpferischer Mann. Was meinst du wohl, wie lange er durchgehalten hat?“
    Die starren Augen richteten sich auffordernd auf Julius. Der Mund verzog sich zu einem fast heiteren Lächeln.
    „Dieses … Bild kenne ich nicht“, sagte Julius tonlos.
    Das Grauen schnürte ihm die Kehle zu. Doch er wollte nicht, dass Alois Lanz diese Todesangst bemerkte und sich daran weidete. „Wahrscheinlich hast du dir dieses Bild nur ausgedacht … in deiner kranken Fantasie …“
    Lanz machte ein enttäuschtes Gesicht. „Warum so kurzsichtig, Julius? Nur weil du dieses Bild nicht kennst, heißt das nicht, dass es nicht existiert. Hat man dir nie das Depot im Kunsthistorischen Museum gezeigt, nein? Nun, als ich seinerzeit ein hoffnungsvoller Student der Akademie war, hat man uns durch die Magazine des Belvedere geführt und vor der Eröffnung des neuen Museums auch durch dessen Lagerräume. Das Gemälde befindet sich dort, ich habe es gesehen. Es wurde nur nie ausgestellt. Es ruht seit Jahrzehnten in einer Kiste mit Holzwolle. Vielleicht ist es zu grausam für das zarte Wiener Publikum.“
    „Wer hat es gemalt?“, flüsterte Julius. Er spürte, dass seine Aufmerksamkeit dem Mann schmeichelte. Solange er nicht in Panik verfiel und sich von dem Grauen übermannen ließ, das an seinen Eingeweiden fraß, würde Lanz mit ihm sprechen.
    „Christopher Paudiß. Es ist natürlich ein barockes Gemälde, wie du dir sicher denken kannst. Stell dir vor, Paudiß hat sogar eine Zeit lang in Wien gearbeitet. Ich habe mir dieses schrecklich-schöne Motiv eigens für den Schluss aufgehoben. Und für dich, Julius Pawalet. Nur für dich.“
    Eine schwere Hand legte sich auf Julius’ Bauch. Alois Lanz starrte ihn an, als erwartete er eine weitere Frage oder gar die Zustimmung, dass er anfangen durfte. Doch Julius schieg. Jetzt hatte die Angst ihm endgültig den Mund verschlossen. Mit einer beinahe zärtlichen Bewegung öffnete der Mann die Knöpfe an Julius’ Mantel, schlug die Seiten zurück und zog behutsam das Hemd aus der Hose. Dann legte sich die Hand auf Julius’ nackte Bauchdecke. Lanz’ Augen glänzten metallisch in der Finsternis. Julius wusste nicht, was ihn mehr erschreckte – die arktische Nachtluft auf seiner Haut, oder der gierige, wollüstige Blick, der auf ihm ruhte.
    „Weißt du, der heilige Thimeo war auf dem Bild natürlich nackt. Er trug nur ein Lendentuch, wie unser geliebter Heiland am Kreuz. Er hat dort, wo er starb, auch sicherlich nicht frieren müssen. Aber keine Angst – das werde ich noch nachholen, sobald du dich nicht mehr rührst. Ich bin ein Perfektionist, wie du weißt, und …“
    „Dann fang doch endlich an!“, schrie Julius und bäumte sich seinem Peiniger entgegen. „Hör auf zu schwätzen wie ein altes Weib, und zeig, was du kannst! Oder hast du Angst vor meinen Eingeweiden? Hast du Angst, dass du in Ohnmacht fällst?“
    Julius bog seinen Leib noch mehr durch. Und da sah er auch das erste Anzeichen von Verwirrung in den stahlgrauen Augen über ihm. Der andere zog die Hand von Julius’ Bauch fort und wich ein Stück zurück. Nervös sah er sich um, als hätte er Angst, dass das Geschrei seines Opfers irgendjemanden herbeirufen könnte. Doch in der Nachtstille riefen nur ein paar der eingesperrten Vögel, und ein Affe kicherte.
    Er ließ sich

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