Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
und in seinen Augen lag ein eigenartig entschlossener Ausdruck.
„Glaubst du, dass er dich will? Als sein letztes Modell?“, flüsterte Lischka.
Julius nickte. „Er weiß, dass seine Zeit abgelaufen ist. Er hält nicht mehr lange durch. Aber er will seinen letzten großen Auftritt, und ich werde dabei eine tragende Rolle spielen. Als er mit mir geredet hat, war es, als … als würde er in mir eine Art Gleichgesinnten sehen.“
„Und, schmeichelt dir das?“, stichelte Lischka.
„Ja.“
„Aha.“ Lischka schluckte. Er kannte die Gefühle, die Julius umtrieben, nur zu genau. Diese Faszination für den Mörder, den man nicht nur zur Strecke bringen, sondern auch kennenlernen und verstehen wollte. Diese Gier, eine Rolle in seiner tödlichen Planung zu spielen, um ihm möglichst nahe zu kommen. Dieser verachtungsvolle Leichtsinn, um ihn wissen zu lassen, dass man seine Furcht vor ihm überwinden konnte. Bei dieser Erkenntnis empfand Lischka eine fast brüderliche Nähe zu Julius. Julius war genau wie er. Und wenn sie die kommenden Ereignisse überleben würden, wären sie ein gutes Gespann.
„Hast du gewusst, dass der Standort und die Planung des Tiergartens astronomischen Berechnungen folgen?“, flüsterte Lischka. Er deutete auf den Hügel, der den Pavillon trug. Plötzlich kam eine große Ruhe über ihn. „Die Wissenschaftler im 18. Jahrhundert haben kabbalistische Zahlenmagie angewandt, um einen Ort der Kraft zu entdecken, auf dem man den Tiergarten errichten konnte. Hier soll anscheinend eine besondere Lebensenergie fließen, zum Wohl der Tiere. In dem Pavillon gibt es ein geheimes Labor; dort wurde früher nach dem Stein der Weisen geforscht.“
„Tatsächlich?“ Julius’ Stimme klang neugierig, und Lischkas Worte schienen ihn einen Moment lang aus seiner Starre zu lösen.
„Ja, vom Dach aus kann man die Sterne beobachten. Dieser ganzen Anlage liegt die alchemistische Hauptthese zugrunde, nach der alles in der Welt eins ist und aus demselben Grundstoff stammt. Laut dieser These sind Mensch und Tier gleich.“
Lischka glaubte plötzlich zu spüren, dass sich unter der Vogelvoliere eine eigenartige Stimmung ausbreitete. Eine Stimmung, die ihre Sinne schärfen sollte. Als könnten die beiden Männer in diesem Moment jede weitere Lüge der Menschheit aufdecken, wenn sie nur gut genug hinhörten.
„Du wirst sehen“, sagte Julius leise. „Wenn das hier vorbei ist, werden die Zeitungen ihn dennoch als Tier darstellen, das dem Menschen gefährlich geworden ist.“
Lischka antwortete nicht. Er konzentrierte sich auf ein Geräusch, das näher kam. Knirschende Schritte im vereisten Kies. Und dann sah er zwei schwere schwarze Stiefel, die an der Vogelvoliere vorbeistapften. Ein schwankender Lichtschein bewegte sich nach links. Leise schob Lischka sich unter dem Käfig hervor. Julius folgte ihm. Über ihnen hörten sie das Krächzen und Rascheln der Vögel.
„Das ist der Pförtner. Er sucht uns“, flüsterte er. Sie sahen den Lichtschein einer Laterne, der zwischen die Großkäfige huschte und verschwand. Lischka zog Julius mit sich.
„Solange der hier unterwegs ist, wird Lanz nicht herauskommen.“
„Was hast du vor?“
„Ihn einweihen. Oder eine Zeit lang ruhigstellen. Das sehen wir dann, wenn wir näher dran sind.“
Er führte Julius in die Richtung, in der er den Pförtner vermutete. Doch in diesem Moment hörte er etwas. Eine laute meckernde Stimme. Ein empörtes Schimpfen, das sich unter die verschlafenen Laute der Tiere mischte.
Hinter einer Biegung tauchte der Lichtschein wieder auf. Dort stand der Geräteschuppen, durch dessen Fenster ein schwaches Licht leuchtete. Der Pförtner mit seiner Laterne stand am Fenster und klopfte laut gegen die verschlossenen Läden.
„Ihr verdammten Schwuchteln! Ich weiß, dass ihr da drin seid!“
Julius unterdrückte ein Lachen neben ihm. Lischka biss sich auf die Unterlippe, um nicht ebenfalls herauszuplatzen. Doch dann versteiften sich seine Glieder. Wenn der Pförtner glaubte, dort drin würden sich zwei Männer vergnügen, dann bedeutete das, dass niemand Befugtes dort drin sein konnte, den der Pförtner kannte.
Wieder schlug er mit der Faust gegen die Läden und rief: „Kommt raus, ihr warmen Schweine, ich hab’ doch gleich gesehen, was ihr für welche seid! Ich ruf’ die Polizei, ihr Dreckslumpen.“
„Und ich habe schon gedacht, dass ich ihn rauslocken muss“, flüsterte Julius mit zitterndem Kehlkopf. Die Vorstellung des Mannes
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