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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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erinnert.“
    Julius wagte ein Lachen, auch wenn der Schmerz fast unerträglich wurde. „Bedeutungslosigkeit?“, schleuderte er Lanz entgegen. „Du bist der bedeutungsloseste Künstler, den ich je gesehen habe. Willst du wissen, warum?“
    Statt einer Antwort setzte Alois Lanz den ersten Schnitt. Julius brüllte auf. Irgendein Tier antwortete mit einem ähnlich verzweifelten Schrei. Julius fühlte den Schmerz kaum noch, weil die eisige Kälte ihn betäubte. Er hoffte nur, er würde noch so lange leben, dass er sagen konnte, was er unbedingt loswerden wollte.
    „Jeder Künstler, der Wert auf das Urteil eines anderen Menschen legt, ist bedeutungslos!“, keuchte er. „Schau dich um in Wien … die Moderne … die Sezession. Glaubst du, dass Klimt und die anderen sich um die Meinung dieses alten Mannes scheren? Du hasst den Kaiser? Aber du verleihst nicht dir Bedeutung, sondern auch ihm, indem du … ihm so viel Macht zugestehst. Du hast … umsonst getötet.“
    Der nächste Schnitt ging noch tiefer, und der Schmerz trieb Julius die Tränen in die Augen. Ein heftiges Schluchzen schüttelte ihn.
    „Halt … den … Mund!“, zischte Lanz und drückte die Klinge unbarmherzig ins Julius’ Fleisch. „Du weißt gar nichts!“
    „Doch!“, keuchte Julius. „Ich weiß … mehr, als du denkst … zum Beispiel … das hier!“
    Und dann schmetterte er ihm mit aller Kraft die rechte Faust gegen die Schläfe. Das Handgelenk brannte von dem abgestreiften Seil, aus dem er sich herausgearbeitet hatte. „Du bist nicht nur ein miserabler Maler, sondern auch ein miserabler Fesselkünstler!“, schrie er und drosch noch einmal voller Wut auf den Schädel über ihm ein.
    Lanz kippte zur Seite, die Augen aufgerissen vor Überraschung. Julius holte die ganze verbliebene Kraft aus seinem halb erfrorenen, blutenden Körper und richtete sie gegen seinen Peiniger. Er landete noch zwei gezielte Schläge gegen den Hals und auf die Nase des anderen, dann schaffte es Lanz, sich aus Julius’ Reichweite zu retten.
    Lanz keuchte, und seine Lippe blutete, aber Julius erkannte voller Grauen, dass er keineswegs bewusstlos liegen blieb. Mit hassverzerrtem Gesicht stürzte er sich auf ihn. Er packte die befreite Hand und suchte nach dem Messer, um sein Werk schnell zu vollenden.
    Julius wand sich mit aller Kraft. „Du kranker Irrer!“, schrie er. „Du bildest dir ein, dass dich das unsterblich macht? Ich hoffe, sie hängen dich auf wie Abschaum!“
    Der Kampf blieb unentschieden, obwohl Julius heftig blutete und Lanz seine freie Hand umklammert hielt wie ein Schraubstock. Durch die Schreie waren offenbar einige der Tiere erwacht und stießen unruhige Laute aus. Das Krächzen der Vögel und das Fauchen der Großkatzen mischten sich unter Julius’ Gebrüll.
    Die Palastwache des angrenzenden Schönbrunner Schlosses musste längst alarmiert sein. Doch da hob Lanz plötzlich sein Messer und ließ es in einem einzigen schnellen Stoß herabsausen.
    Im selben Augenblick krachte ein Schuss. Noch mehr Vögel begannen erschrocken zu kreischen, und Julius sah, wie das Messer kurz über seinem Bauch mit den Schnittwunden innehielt.
    Der Körper über Julius zuckte zur Seite, und hinter ihm ertönten die geflüsterten Worte: „Spar dir deine Kräfte, Julius.“
    Er erkannte, dass es Lischka war, der geschossen hatte. Julius drehte den Kopf nach hinten. Dort lag der Inspektor auf der Seite im Schnee, der Eisenstab ragte noch immer aus seiner Brust. Hinter ihm zeigte eine zehn Meter lange dunkle Schleifspur an, wie sein Freund herangekrochen war. Doch der Revolver fiel ihm aus der Hand, und der Kopf sank entkräftet in den Schnee.
    Endlich war Julius’ linke Hand ebenfalls frei. Er starrte auf den keuchenden, zitternden Lanz, der sich die Schulter hielt. Irgendwo bellte ein Hund, und Stimmen drangen durch die Nachtluft zu ihnen.
    „So, und jetzt zeig uns, wie schnell du rennen kannst!“, schrie Julius und machte sich an den Beinfesseln zu schaffen. Er achtete nicht auf das Blut, das von seinem Bauch in den Schnee rann.
    „Lauf weg, du Scheißkerl!“, brüllte Julius und fuchtelte mit den Händen, als wollte er einen bettelnden Köter verjagen. Und es war, als würden auch die Zootiere Lanz durch ihr Krächzen, Knurren und Kreischen von ihrem Territorium vertreiben wollen. Denn Alois Lanz schleppte sich ein paar Schritte weg und humpelte zwischen die ersten beiden großen Käfige. Dann verschwand er in der Finsternis.
    „Lischka … Lischka!“,

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