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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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spielen, die ich dir zugedacht habe.“
    „Was hast du vor mit mir?“, flüsterte Julius.
    „Oh, etwas, worauf du anscheinend bereits sehnsüchtig wartest. Sonst wärst du nicht hier. Sonst würdest du wegrennen. Und da du das nicht tust, werte ich deine Anwesenheit als Zustimmung. Leg dich auf den Rücken.“
    „Was?“
    „Leg dich da drüben hin. Ich habe den Schnee dort weggeschaufelt. Leg dich hin.“
    Julius starrte den blassen Mann an, der ganz ernst zu ihm sprach und sich fast so geduldig anhörte wie ein Vater, der seinem Kind die Notwendigkeit des Fiebermessens erklären will.
    Julius rührte sich nicht. In seinem Kopf kreiste die Frage, wie er dieser Situation entkommen konnte. Er wollte nicht glauben, dass Lanz ihn töten würde. Die ganze Situation war so absurd, dass er einfach stehen blieb und wartete. Die Geduld des anderen riss so jäh wie eine überspannte Klaviersaite. Noch bevor Julius erkannte, was geschah, schnellte Lanz vor und schlug ihm die Faust gegen den Kopf.
    Julius taumelte nach hinten und sank in den Schnee. Das Nächste, was er sah, war das Gesicht, das sich über ihn beugte und ihn mit blinzelnden Augenlidern musterte. „Aber bitte, ich helfe doch gern nach“, säuselte es mit eisiger Stimme, und dann wurde Julius an den Knöcheln gepackt. Durch die Betäubung des Schlages nahm er wahr, wie er durch den Schnee geschleift wurde. Eine kurze, gnädige Ohnmacht umfing ihn, doch als er wieder erwachte, hatte sich die Umgebung verändert. Sein Körper lag ausgestreckt auf dem Boden, Arme und Beine gespreizt. Er konnte sie nicht bewegen. Julius hob den Kopf und sah, dass er an Armen und Beinen mit einem dünnen Seil an vier Holzpflöcke gefesselt waren, die aus dem Boden ragten. Von irgendwoher ertönte ein leises Lachen. Und dann sah Julius den Apparat links von ihm, aber er konnte nicht erkennen, was es war. Eine Holzkonstruktion, in deren Mitte eine Art Spule hing. Das ganze Ding sah so klobig und schlecht gebaut aus, dass Julius nicht hätte sagen können, was für einen Sinn es hatte. Fieberhaft rasten die Gemälde des Kunsthistorischen Museums an seinem inneren Auge vorbei. Wo war das Bild, das hier umgesetzt werden sollte? Er ahnte Grausames, doch in seiner Erinnerung fand er kein passendes, in Öl gemaltes Gegenstück.
    „Da staunst du, was?“, kam die Stimme des anderen aus der Dunkelheit. „Du kennst dich in den Schatzkammern deines geliebten Museums wohl doch nicht so gut aus, wie du gedacht hast, Pawalet.“
    Julius spürte die Anwesenheit des Mannes hinter sich. Ihm stockte der Atem in der eisigen Kälte, und er verdrehte den Kopf, um ihn zu sehen. Da trat Alois Lanz langsam und gemächlich in sein Blickfeld. Er winkte ihm zu wie einem alten Freund. In seiner Hand lag ein langes Messer. Fehlt nur, dass das Mondlicht auf die Klinge fällt, dachte Julius. Er hatte immer noch nicht ganz erfasst, was mit ihm geschehen sollte. Krampfhaft versuchte er, sich an das Bild zu erinnern, für dessen Umsetzung er hier das Modell war.
    „Lass mich raten, Julius: Du fragst dich verzweifelt, welches Gemälde diesmal an der Reihe ist? Verständlich. Man will als Modell doch wissen, wozu man verwendet wird, nicht wahr?“
    „Sag es mir!“, krächzte Julius.
    „Du solltest froh sein, dass du das Gemälde nicht kennst. Wenn du es nämlich wüsstest, würden das Grauen und die Angst dich übermannen.“
    Julius schauderte vor dem leisen, belustigten Lachen, das der Mann ausstieß. Der ließ sich neben ihm in die Hocke sinken und zeigte ihm das Messer. Es war lang und an der Spitze ein wenig gebogen.
    „Kennst du die Geschichte des heiligen Thimeo von Salzburg?“
    „Nein“, presste Julius hervor. „Aber wenn es ein Heiliger war, nehme ich an, dass er auf entsprechende Weise umgekommen ist.“
    Lanz lächelte auf ihn herab. „Du sagst es. Ein schöner brutaler Märtyrertod. Du weißt ja, was man sich für unsere Heiligen so alles ausgedacht hat. Du kennst wirklich kein Bild, auf dem Thimeo abgebildet ist?“
    Julius zerrte an den Fesseln und hätte dem anderen ins Gesicht gespuckt, wenn er nicht auf dem Rücken gelegen hätte. Seine Erinnerung stürzte sich verzweifelt auf verschüttete Ahnungen, um wen es sich bei jenem heiligen Thimeo handeln konnte. Wie war der Mann gestorben? Welchen tödlichen Ausgang versprach diese merkwürdige Holzkonstruktion? Zugleich suchte sein zitternder Verstand nach Möglichkeiten, Lanz von seinem Vorhaben abzubringen. Zeit gewinnen, dachte Julius …

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