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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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schäbigen Kunstdrucke geliebt haben, die er damals gesammelt hat. Sie sehen hohe und reine Werte in der Kunst …“ Sein Blick wurde ganz weich und väterlich. „Und dann kommt ein Genie wie der Grimminger und relativiert all das Meisterliche und Großartige, an das Sie glauben, mit ein paar Pinselstrichen. Muss schlimm für Sie sein, ihm zuzusehen.“
    Kinsky schüttelte traurig den Kopf und starrte weiter zu Boden. Dann murmelte er plötzlich: „Mein Gott, was für ein Wahnsinn …“
    Er hielt kurz inne, dann fuhr er fort: „Ich will Ihnen etwas sagen, mein lieber Pawalet.“ Kinskys Stimme klang jetzt so weich wie zerfließende Butter. „Ich weiß, dass Sie sich ein bisschen besser mit der Kunst auskennen als ein gewöhnlicher Saaldiener, und darüber freue ich mich auch. Es ist nur so … bitte machen Sie nicht den Fehler, sich zu überschätzen. Sie glauben vielleicht, dass Sie alles durchblicken, alles verstehen, nur weil Ihre Sinne die Magie der Kunst verstanden haben. Aber das wäre ein großer Fehler, Pawalet. Es gibt Dinge in diesem Museum, die Sie mit Sicherheit nicht begreifen werden.“
    „Was denn zum Beispiel?“, drängte Julius, den Kinskys merkwürdige Andeutungen Kinskys aufbrachten. „Ich habe mich zum Beispiel gefragt, warum Grimminger Gemälde kopiert?“
    Kinsky seufzte. Sein Gesicht zuckte kurz, als hätte er Zahnschmerzen. „Sie wissen nichts über den Mann, und weil Ihnen sein Talent unheimlich ist, vermuten Sie vielleicht etwas Schlechtes, Unlauteres hinter seinem Werk. Aber abgesehen davon – ich fordere Sie auf, einfach nur Ihre Arbeit zu tun. Sie sind ein kleiner Saaldiener. Sie kommen in unserer Hierarchie gleich nach der Putzfrau.“
    „Danke, ich kenne meinen Platz auf der Welt“, sagte Julius mit gefasster Stimme. Seine Hand tastete nach der Lupe in seiner Uniform. „Aber vielleicht helfen Sie mir, dass ich meine niederen und schändlichen Gedanken etwas ordnen kann. Was geschieht mit Grimmingers Bildern? Verkauft er sie?“
    Kinsky zuckte mit den Schultern. Dabei wanderte sein wässriger Blick hoch zum Glasdach. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was mit diesen Bildern geschieht. Der Grimminger hat keine andere Arbeit. Er besitzt ein anständiges Erbe seiner Familie, das es ihm erlaubt, seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen. Es geht uns nichts an, was er damit macht. Woher kommt nur Ihr Misstrauen gegen ihn?“
    Julius antwortete nicht, sondern fragte: „Warum glauben Sie, hatte mein Vater eine Lupe bei sich und hat sich die Gemälde so genau angeschaut?“
    Kinsky lächelte. „Nun, das war ein kleines Faible von ihm. Er hat sich eben gern die Details angesehen. Man kann mit der Lupe den Pinselstrich der alten Meister studieren, und das hat ihn fasziniert. Er war der Meinung, dass nicht die bemalte Leinwand, sondern der einzelne Pinselstrich des Malers das Persönlichste ist, was er uns hinterlassen hat. Ihr Vater war ein guter Mann, aber er war wunderlich. Sehr wunderlich …“
    So wunderlich, dass er mir diese Lupe mit sonderbaren Andeutungen hinterlässt, dachte Julius.
    Der Museumsdirektor fuhr fort: „Übrigens wird der Grimminger demnächst ohnehin eine längere Pause bei der Medusa einlegen müssen. Das Bild wird abgehängt und restauriert.“
    „Warum?“ Julius fühlte ein leichtes Ziehen hinter der Stirn.
    „Weil es beschädigt ist. Es muss dringend etwas Pflege bekommen.“
    Julius schaute hinüber zu dem Gemälde und runzelte die Brauen. „Ich finde nicht, dass es beschädigt aussieht. Es ist doch in hervorragendem Zustand.“
    „Pawalet!“ Kinsky hob drohend den Zeigefinger. „Maßen Sie sich darüber kein Urteil an! Wenn Sie Fragen dazu haben, dann wenden Sie sich an Franz Kittelberger, er ist unser Restaurator. Und nun zügeln Sie Ihre Neugierde und tun Sie Ihre Arbeit!“
    „Sonst?“, fragte Julius mit dem verspäteten Trotz seiner Kindheit.
    Die Augen des Direktors blitzten auf. „Die Freundschaft zu Ihrem Herrn Vater lässt sich nämlich nicht über Gebühr strapazieren“, zischte er.
    Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ Julius stehen.
    Julius war immer noch verwirrt von der unterschwelligen Drohung, die er aus Kinskys Worten herausgehört hatte.
    Da fiel es Julius wie Schuppen von den Augen. Nicht Kranzer hatte Kinsky etwas über ihn erzählt. Wie könnte er auch? Es gab zu diesem Zeitpunkt nur eine Person, der er leichtsinnigerweise Einblick gegeben hatte in die seltsame Dimension in seinem Bewusstsein, in der jedes

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