Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
früh an einer Stelle auf der Karriereleiter gelandet waren, die er niemals erreichen würde. Er selbst war fast vierzig, und wenn es so weiterging, dann würde man ihn höchstwahrscheinlich bald entlassen.
Der Mann trug eine dunkle Uniform mit allerlei Abzeichen, deren Bedeutung Lischka unbekannt war, die ihren Träger aber dazu veranlassten, den Gast anzuschauen wie eine Kakerlake vor seiner Schuhspitze. Er war glatt rasiert, nur zwei akkurat gestutzte Koteletten ragten in seine Wangen wie Ausrufezeichen für einen aufgeworfenen, fleischigen Mund. Seine Augen hatten dieselbe blassgraue Farbe wie der Revolver, der an seinem Gürtel hing.
„So wie Sie aussehen, müssen Sie Leutnant Tscherba sein“, sagte Lischka, ohne sich zu erheben. Er wusste, dass er schlechte Chancen hatte, weil er noch nie herausfinden wollte, was am Geschmack von fremdem Speichel so besonders reizvoll war.
„Ach ja?“, kam es aus dem breitlippigen Mund. „Demnach kennen Sie mich schon?“
Seine Stimme hätte Löcher in den Stein bohren können. So wie Tscherba aussah, schätzte er ausschließlich Menschen, die unter seinem Haifischblick kleiner wurden. Dass er seinen rangniederen Kollegen nicht ausstehen konnte, war so klar wie die beißende Winterluft vor den Fenstern. Er setzte sich an einen wuchtigen Schreibtisch und verschränkte die Hände unter dem Kinn. Seine Fingernägel waren akkurat gefeilt und peinlich sauber.
„Also“, sagte er auffordernd zu Lischka. „Was haben wir?“
„Ich habe bislang eine Einladung von Ihnen, Leutnant Tscherba. Vielleicht sagen Sie mir, warum.“
Der k. u. k. Polizeiagent verzog den Mund und richtete die farblosen Kieselaugen auf sein Gegenüber. „Na, kommen Sie, das können Sie sich doch sicher denken.“
„Hat der Kaiser eine Morddrohung erhalten?“
„Nein!“, rief Tscherba fast empört aus. „Wie kommen Sie darauf?“
„Warum bin ich dann hier?“
„Sie sind hier, weil ich mir ein umfassendes Bild von Ihren Ermittlungsergebnissen machen will. Gibt es denn welche?“
Lischka atmete tief ein. Der Mann würde ihn demütigen, darauf musste er gefasst sein. Höchstwahrscheinlich hatte er ihn nur aus diesem Grund herbestellt.
„Es gibt verschiedene Erkenntnisse, doch“, sagte er und verfluchte seinen verbissenen Tonfall.
„Tatsächlich?“
„Ich habe unlängst eine sehr interessante Information erhalten, die eine wichtige Spur zu unserem Mörder ist. Ein Angestellter des Kunsthistorischen Museums hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass die Szenarien des Mörders alle an Gemälde aus der kaiserlichen Galerie erinnern. Ich habe mich selbst überzeugt. Alle drei Tatorte zeigen starke Parallelen zu drei bestimmten Gemälden. Der letzte mit den drei Kindern des Botschafters Juristoff ist an ein eigentlich recht schönes Bild von Rubens angelehnt.“
Leutnant Tscherba beugte sich vor und lächelte herablassend. „Wie heißt der Mann?“
„Ist sein Name von Bedeutung?“ Lischka empfand den Gedanken als sehr unangenehm, Tscherba über Julius Pawalet zu informieren. Doch sein Gastgeber zückte einen Stift und richtete ihn wie die Spitze eines Bajonetts auf Lischka.
„Überlegen Sie doch mal, Inspektor. Alle Informationen, die man in einem derartigen Fall erhält, können gefährlich sein. Sie können in die Irre führen. Und wer führt andere schon gern in die Irre? Der Mörder natürlich. Haben Sie Ihren Informanten überprüft? Ist er sauber?“
„Sie meinen, ich müsste ihn verdächtigen?“, presste Lischka hervor und wand sich innerlich.
„Im Moment müssen wir alle verdächtigen, nicht wahr?“
„Und warum Sie, Leutnant Tscherba? Was geht diese Sache die Schlosspolizei an?“
Tscherba lehnte sich zurück und besah sich seine sauberen Fingernägel. „Sehen Sie, Lischka, mit den letzten drei Todesfällen in der Menagerie ist das Ganze keine Sache der städtischen Polizei mehr. Der gesamte Nachwuchs des russischen Botschafters wurde ausgelöscht. Meinen Sie nicht auch, dass diese betrübliche Angelegenheit nun auf eine ganz andere Stufe rückt? Meinen Sie nicht, dass der Kaiser jetzt erst recht ein Interesse daran hat, dass dieser Irrsinnige so schnell wie möglich gefasst wird?“
„Die Morde werden nun also zum Gegenstand des kaiserlichen Interesses? Zu einer Staatsaffäre?“
„Sie brauchen gar nicht so abschätzig zu reden, Lischka. Mit den letzten drei Opfern ist diese Mordserie zu etwas geworden, was an allerhöchster Stelle Rechenschaft verlangt.
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