Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Lächeln sein Gesicht erhellte. Dann erbrach er sich heftig würgend. Johanna hielt seinen bandagierten Kopf über eine Schüssel und strich ihm beruhigend über den Nacken.
Sie hatte noch nie zuvor einen Patienten gestreichelt.
***
Julius hatte viel Zeit, sich zu fragen, wann die Wirklichkeit aufgehört und der Traum und die Verwirrung begonnen hatten. Er befand sich zwar in einem warmen Bett, aber alles, was er wahrnahm, war der dumpfe Schmerz in seinem Schädel. Es fühlte sich an, als hätte er mindestens einen Monat lang geschlafen. Zugleich war er körperlich in einem äußerst geschwächten Zustand. Er lag mitten in einem kleinen hellen Rechteck; das konnte nur ein abgetrenntes Bettenabteil in einem Schlafsaal im Krankenhaus sein. Doch in ihm regte sich der schwache Nachhall eines Wunsches. Vielleicht unter einer Glaskuppel aufzuwachen, auf einem weichen Kanapee voller Kissen, unter den lauernden Augen Luise von Schattenbachs.
Julius lag in einem weißen Gitterbett, das aussah wie ein zu groß geratenes Kinderbettchen. Um sich herum nahm er Atemzüge, leises Husten und das Tropfen eines Wasserhahns wahr. Alles an seinem Körper war irgendwie wund und fremd. Aber am schlimmsten war der Verlust der Zeit. Julius tastete nach seiner Erinnerung, doch er konnte nichts finden. Ihm fiel ein waghalsiger Plan ein, den er verfolgt, die Entdeckung, die er gemacht hatte. Und ein Gesicht, das er gut kannte, bevor alles dunkel geworden war. Richtig, jetzt wusste er es wieder. Er hatte einen Schlag auf den Kopf bekommen. Doch das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war das Wissen, wer zu diesem Schlag ausgeholt hatte. Seine Hände betasteten den Kopf. Sein ganzer Schädel war bandagiert. Er schloss die Augen. Irgendetwas war da noch gewesen … Julius hatte das Gefühl, als würde er den Nachhall von etwas Süßem, Angenehmem empfinden. Als hätte er während der Ohnmacht einen wunderschönen Traum gehabt.
In diesem Moment öffnete sich der dicke Leinenvorhang neben seinem Bett, und eine Krankenschwester mit einem Tablett voll Verbandszeug kam zu ihm. Julius fühlte eine Welle der Erleichterung in sich aufsteigen, als hätte er Monate auf einer einsamen Insel verbracht, und diese Frau in Schwesterntracht wäre nun der erste Mensch, den er zu Gesicht bekam. Seine drängendsten Fragen brachen sogleich aus ihm heraus. Seine Stimme hörte sich an, als hätte er Sägemehl gegessen. Die Krankenschwester stellte das Tablett auf einen kleinen Nachtschrank und setzte sich auf die Bettkante. Dann nahm sie seine Hand, die unruhig über die Bettdecke fuhr, und beugte sich zu ihm herunter. Julius sah in ihr Gesicht.
„Johanna!“, krächzte er.
„Na, das ist ja eine Erleichterung!“, lächelte die Krankenschwester. „Ihr Gedächtnis hat also nicht gelitten.“
„Wie … wie könnte ich Sie vergessen?“, stammelte er und starrte auf das weiche Gesicht zwischen all dem bedrohlichen Weiß ringsum.
„Ich muss sagen, dass ich sehr enttäuscht war von Ihnen, Julius“, sagte Johanna leise. „Ich dachte, ich konnte ein bisschen mithelfen, dass Sie wieder auf den rechten Weg kommen. Und dann höre ich, dass Sie irgendwo eingebrochen sind. Wollten Sie einen schöneren Anzug stehlen?“ Sie lächelte und drückte seine Hand.
Julius verspürte den dringenden Wunsch, sich reinzuwaschen.
„Ich bin nicht eingebrochen, um etwas zu stehlen. Ich wollte … etwas nachprüfen.“
Johanna hob die Augenbrauen. „Ah. Haben Sie das der Polizei auch so erklärt?“
„Ich gebe zu, das ist etwas schwer zu erklären.“
„Sie haben einen recht anständigen Freund bei der Polizei.“
„Lischka?“
„Ja. Inspektor Lischka hat dafür gesorgt, dass Sie aus dem Gefängnis geholt werden und ins Krankenhaus kommen. Wenn er das nicht getan hätte, wären Sie jetzt tot.“
Er sah verständnislos zu ihr hoch. Sie verströmte wieder diesen feinen Geruch nach Seife und Leinen.
„Wie lange bin ich schon hier?“, fragte er.
„Seit drei Tagen.“
Julius nickte bedrückt.
„Kommen Sie“, sagte Johanna aufmunternd, „richten Sie sich ein bisschen auf; ich muss den Verband wechseln.“
Julius setzte sich auf und spürte Johannas Hände an seinem Kopf. Während sie behutsam die Binden abwickelte und seine Wunde versorgte, beobachtete er ihren konzentrierten Gesichtsausdruck. Jetzt erst sah er, wie schön sie war.
„Hören Sie auf, mich anzustarren, sonst wickle ich vielleicht aus Versehen noch ihre Augen zu.“ Sie lächelte
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