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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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seinen Rausch ausschlief. Jetzt aber erkannte er das dunkle wellige Haar Pawalets und die abgewetzte, einfache Jacke, die er bisher jedes Mal an ihm gesehen hatte. Der junge Mann lag reglos auf dem nackten Steinboden. Dann bemerkte Lischka die dunklen Flecken hinten auf der Jacke. Der Anblick von Pawalets blassen, schlaffen Händen neben dem Körper machte ihm Angst. War er zu spät gekommen?
    „Was ist hier vorgefallen?!“, fuhr er den Wachmann an. „Warum stecken Sie diesen Mann in eine Zelle mit lauter Säufern? Haben die ihn zusammengeschlagen?“
    Der Wachmann zuckte mit den Schultern, und einer der Betrunkenen lallte: „Wir ham dem nichts übergehauen. Der is schon so hier angekommen.“
    „Was ist mit ihm?!“, rief Lischka und rüttelte den Wachmann an der Schulter, als wollte er ihn aus einem tiefen Schlaf reißen.
    „Ich weiß nix. Die Kollegen haben ihn hier unterbringen wollen. Er ist anscheinend in ein Atelier eingebrochen und wurde von einem Angestellten niedergeschlagen. Der hat dann die Polizei gerufen, und die haben ihn hierhergebracht.“
    „Schließen Sie die Zelle auf. Und zwar sofort!“
    Der Wachmann holte einen Schlüsselbund hervor und öffnete die Gittertür der Zelle. Lischka betrat den stinkenden Raum und kniete sich neben Julius hin. Er drehte ihn auf den Rücken und erschrak. Pawalets Gesicht war grau wie Asche, und an seiner Schläfe trocknete eine dicke Schicht Blut. Einen Puls konnte Lischka kaum noch fühlen.
    „Rufen Sie die Rettungsgesellschaft. Der Mann muss sofort ins Spital!“, schrie er, und der Wachmann verschwand eilig.
    Lischka packte Julius unter den Achseln und zog ihn aus der Zelle. Bevor sich ein paar der Säufer erheben und ebenfalls in die Freiheit torkeln konnten, warf er die Gittertür wieder zu und achtete nicht auf die obszönen Beschimpfungen.
    Julius Pawalet war ohnmächtig. Plötzlich wurde Rudolph Lischka von der unbestimmten Angst erfasst, der junge Mann könnte sterben. Er zog seinen Mantel aus und deckte Julius damit zu.
    „Was haben Sie sich nur dabei gedacht, Sie verdammter Dummkopf …“, murmelte er und rieb die Hände des Bewusstlosen.
    „Los, küss ihn!“, krakeelte ein Besoffener und machte eine obszöne Geste in Lischkas Richtung. In diesem Moment flatterten Julius’ Lider, und er wurde wach.
    „Pawalet, Gott sei Dank!“, flüsterte Lischka. „Ich dachte schon, Sie sterben mir hier weg!“
    Pawalet blickte ihn aus trüben Augen an. Auf dem Gang ertönten die Schritte mehrerer Menschen.
    „Was haben Sie getan?“, fragte Lischka. Julius stöhnte auf.
    „Ich weiß es jetzt ganz bestimmt …“, murmelte er.
    „Was wissen Sie? Etwas über den Mörder?“
    Da stieß Julius ein bitteres Lachen aus und hauchte etwas, das sich anhörte wie: „Nein, nein … aber auch eine Art von Mord …“ Lischka sah, wie Pawalet wieder hinüberglitt in die Leere. Dann erschienen zwei Sanitäter der Rettungsgesellschaft, hoben Julius Pawalet auf eine Bahre und trugen ihn hinaus.
    „Wo bringen Sie ihn hin?“, fragte Lischka.
    „Ins Allgemeine Krankenhaus“, entgegnete einer der Sanitäter. Lischka beeilte sich, im Fiaker dem Rettungswagen hinterherzufahren. Während der ganzen Fahrt zum größten, fortschrittlichsten und berühmtesten Krankenhaus der Monarchie fragte er sich, warum seine Sorge um Julius Pawalet sich anfühlte wie die Sorge um einen eigenen Sohn.

XIV
    Doktor Wilhelm ging schon wieder so dicht hinter Johanna vorbei, dass sie eine Bewegung in ihren Röcken spürte. Das Vorratsmagazin, in dem die Krankenschwester an diesem Tag Inventur hielt, war nun keineswegs so eng und schmal, dass Doktor Wilhelm sich derart dicht an ihr hätte vorbeischieben müssen. Nein, der leitende Arzt der Notfall-Ambulanz hatte schon seit längerem ein Auge auf sie geworfen, das wusste Johanna. Sie hatte mit ihren 22 Jahren zwar noch keinerlei Erfahrung mit Männern, aber sie erkannte, wenn jemand versuchte, sich an sie heranzumachen. In einem Krankenhaus, in dem hochgestellte Ärzte und niedere Krankenwärterinnen auf engstem Raum zusammenarbeiteten, war das Teil ihres Alltags. Das Gute am Beruf der Krankenschwester war der Hauch von ständiger Beschäftigung, der Nimbus der immerwährenden Bereitschaft und Hast, der sie umgab wie ein Schutzschild. Sie hatte sich einen raschen Gang und eine gesenkte Kopfhaltung angewöhnt. Manchmal berichtete sie ihren Eltern von den Nachstellungen der Mediziner.
    „Du bist einfach zu schön, mein Kleines“, pflegte ihre

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