Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
verschmitzt.
„Ach, das sind Sie bestimmt gewohnt. Sie sehen nicht aus wie jemand, der sich durch Blicke aus der Ruhe bringen lässt.“
„Nicht durch alle Blicke, das stimmt.“
Julius schwieg. Als der Verband fertig war, drückte Johanna ihn zurück in die Kissen und sagte: „Sie müssen Hunger haben wie ein Wolf.“
Julius freute sich auf die Aussicht, von Johanna gefüttert zu werden. Doch als sie verschwand, um etwas zu essen für ihn zu holen, trat ein anderer Besucher an sein Bett. Es war Lischka. Sein Gesicht war steingrau.
„Lischka!“, sagte Julius und verspürte noch einmal eine ähnliche Freude wie beim Auftauchen Johannas. „Haben Sie einen Schwur geleistet, sich erst wieder zu rasieren, wenn ich aus meiner Ohnmacht erwache?“
Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich auf die Bettkante. In diesem Moment erschien Johanna mit einem Teller und sah verwundert den neuen Besucher an. Lischka streckte die Hand aus und sagte: „Wertes Fräulein, Sie werden entschuldigen, aber ich übernehme die Fütterung.“
Seine Worte klangen wie ein Befehl. Julius war sich nicht sicher, ob er sich immer noch über Lischkas Anwesenheit freuen sollte. Doch Johanna lächelte. „Sie beide haben sicherlich eine Menge zu bereden.“
Sie reichte Lischka den Teller, zog den Vorhang zu und verschwand. Der Inspektor nahm die Gabel und spießte etwas auf, das aussah wie eine zerkochte Möhre. Widerstandslos ließ Julius sich das Gemüse in den Mund schieben.
„Sie haben mir einiges zu erklären, Pawalet.“ Lischkas Stimme klang sanft und zu Tode erschöpft.
„Sie mir auch“, erwiderte Julius.
Mechanisch schob er Julius ein paar Gabeln Erbsenbrei in den Mund und seufzte. „Eigentlich unterbreche ich meine Arbeit, wenn ich Sie hier besuche, Pawalet. Aber ob Sie es glauben oder nicht – ich hab mir ganz schön Sorgen um Sie gemacht.“
„Was ist eigentlich mit mir passiert?“, wollte er wissen.
„Ja, das frage ich mich auch. Was wollten Sie denn bei diesem Maler … wie hieß er noch?“
„Otto Grimminger. Ich habe gewisse … mit dem Mann stimmt etwas nicht.“
„Ach, und da haben Sie sich gedacht, einfach mal so in seinem Haus herumzustöbern, ja?“
„Es war nicht sein Haus, sondern sein Atelier. Außerdem habe ich nichts beschädigt und auch nicht versucht, etwas zu stehlen. Und der Grund, warum ich mich dort umgesehen habe, wurde bestätigt.“
„Warum?“
„Der Mann, der mich zusammengeschlagen hat …“, sein Gesicht verzerrte sich bei dieser Erinnerung, „war Louis Kranzer. Mein Vorgesetzter am Kunsthistorischen Museum.“
„Na und?“, sagte Lischka verständnislos. „Wenn er dachte, dass Sie ein gemeiner Einbrecher sind, dann war das nichts weiter als Notwehr. Aber was haben Sie denn da gesucht, Pawalet?“
„Das sage ich Ihnen ein anderes Mal, Lischka. Was ist danach passiert?“
„Sie wurden mit halb eingeschlagenem Schädel in den Kotter geworfen, und Sie können von Glück sagen, dass ich davon erfahren habe. Ich hab Sie ins Krankenhaus verlegen lassen, weil Sie mir ja so ein lieber und wichtiger Zeuge sind, nicht wahr.“
Nachdenklich schob er sich eine Gabel von dem Essen in den Mund und begann dann, den ganzen Teller leer zu löffeln, so als brauchte er dringend eine Ablenkung. Zwischen zwei Bissen sagte er: „Ich habe Dr. Kinsky heute Morgen einmal etwas in die Mangel genommen. Und habe ihn gefragt, wie es kommt, dass er als Direktor des Kunsthistorischen Museums gar nicht auf den Gedanken kommt, die Morde könnten etwas mit den Gemälden zu tun haben.“
Julius schauderte. „Lassen Sie mich raten, was dann passiert ist: Sie haben ihm gesagt, dass sein neuer Saaldiener Ihr neuer Informant ist.“
Lischka schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände. „Nein. Ich habe ihm weisgemacht, dass die Wiener Geheimpolizei selber auf die Idee gekommen ist. Ich habe so getan, als wäre der Zusammenhang offensichtlich und als könnte jeder selber darauf kommen. Ihr Name wurde nicht erwähnt, Pawalet, mein Wort darauf.“
„Und wie hat Kinsky reagiert?“
„Nun, er wurde sehr … nachdenklich.“
Julius nickte vorsichtig. Das war wirklich seltsam. Gustav Kinsky war der Mann, der die Bestände des Kunsthistorischen Museums wahrscheinlich besser kannte als alle Generationen der Habsburger zusammen. Aber vielleicht hatte er gerade ganz andere Sorgen. Wenn das, was Julius in dem Atelier gesehen hatte, wahr sein sollte, dann stand Kinsky unter einem ganz anderen Druck.
„Hat
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