Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
stellen?“
Lischka schloss die Augen und schüttelte sacht den Kopf. „Das kann ich nicht versprechen.“
„Ich möchte Sie bitten, in Ihren Akten nach jemandem zu suchen. Ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, ob irgendetwas gegen diesen Menschen vorliegt. Auch wenn es schon dreißig Jahre her wäre. Ist das möglich?“
Lischka hob erstaunt die Brauen. „Nun, und um welchen Menschen handelt es sich?“
„Um Joseph Pawalet. Meinen Vater.“
„Glauben Sie nicht, dass ich das längst getan habe? Haben Sie vergessen, dass seine Akte noch nicht geschlossen ist?“
„Und? Haben Sie etwas herausgefunden?“
„Kommt darauf an, was Sie meinen. Ich habe sogar eine ganze Menge herausgefunden. Mich bringt es nicht weiter. Aber Sie vielleicht.“
***
Später wachte Julius davon auf, dass jemand seine Hand hielt. Er hatte so tief geschlafen, dass er nur mühsam die Augen aufbekam und nur langsam erkannte, dass es draußen bereits dunkel war. Der Schlaf umgab ihn immer noch wie eine klebrige Masse, und er hatte das Gefühl, als würden alle Regungen seines Geistes Sirupfäden ziehen. Er versuchte, sich auf die Berührungen an der Hand zu konzentrieren, und stellte sich vor, dass es Johanna war, die ihn so sanft berührte. Doch Julius wechselte nur von einem Traum in einen nächsten, denn dort saß jemand, der dort eigentlich nicht sitzen konnte, nicht sitzen durfte.
Auf seiner Bettkante saß Luise von Schattenbach.
Julius sah und roch sie, sie erfüllte das durch den Vorhang abgetrennte Bett mit dem Duft eines stark riechenden Blumenstraußes. Im Allgemeinen hielt man üppige Blumen doch von Kranken fern, oder? War es nicht so, dass bestimmte Blumen die Sinne verwirrten, wie Lilien etwa? Und gab es nicht Blütenstaub, der besonders für geschwächte Menschen giftig war?
„Nein, bleiben Sie bei mir, Julius!“, forderte sie sanft und tätschelte ihm die Wange. Sie war wirklich hier. Neben ihr auf der Bettdecke stand ein flacher Korb, aus dem es köstlich duftete.
Und dann fing alles wieder von vorn an. Alles war genauso wie vor ein paar Tagen in ihrem Dachsalon. Das gleiche Gefühl der wohligen Hilflosigkeit stellte sich ein, auch wenn er es besser wissen müsste. Die gleiche Bereitschaft, sich dieser Frau auszuliefern, brach seinen ohnehin nur schwachen Widerstand.
Krampfhaft versuchte er, sich innerlich zu wappnen. Doch auch ein schwaches Aufglimmen von Johannas Gesicht in seinem Bewusstsein half nicht. Er lag regungslos, und jede Zelle seines geschwächten Körpers sehnte sich nach der schwarzen Witwe.
Luise von Schattenbach ergriff den Korb und kippte ihn leicht.
„Ich habe das Gefühl, man isst hier nicht besonders gut. Sehen Sie, was Colette für Sie gezaubert hat, für Ihre baldige Genesung.“
In dem Korb lagen dicke Scheiben von einem dunklen Brot, appetitlich geschnittene Käsestücke, Äpfel und ein kleiner Kuchen.
Luise von Schattenbach fasste Julius unter den Achseln und half ihm, sich aufzurichten. Er sah sie jetzt klarer und entdeckte, dass sie genauso gekleidet war wie damals in ihrer Dachwohnung. Nur ein paar Schichten eines hauchdünnen Stoffes, unter dem ihre weiße Haut schimmerte. Wie konnte es sein, dass man sie in diesem Aufzug überhaupt hereingelassen hatte?
„Wie sind Sie hereingekommen?“, hauchte Julius. Ängstlich dachte er an die anderen Patienten im Schlafsaal. Aber um sie herum war alles so still wie in Luises geheimem Treppenhaus. Statt einer Antwort riss sie eine Brotscheibe in kleine Stücke, belegte sie mit Käse und schob sie Julius in den Mund. Jetzt fehlten nur noch die geheimnisvollen Fragen. Brot und Käse schmeckten vorzüglich. Luise von Schattenbach schob ein paar Apfelstücke hinterher und beobachtete seinen Appetit mit Freude und sogar Erleichterung. Nichts war zu spüren von der unheilvollen Körperlichkeit, die Julius beim letzten Mal an ihr wahrgenommen hatte. Und doch war ihre Sorge nicht einfach nur tröstlich. Julius fühlte, dass irgendetwas in ihr lauerte.
Das Krankenhaus schien in einen Dornröschenschlaf gefallen zu sein. Keine Schritte auf dem Gang. Niemand, der hereinkam und Luise daran hinderte, ihn zu füttern. Nicht einmal ein Schnarchen oder Stöhnen kam von den anderen Betten. Er stellte sich vor, wie Johanna hereinkommen und Luise sehen würde. Er wischte das Bild weg, als wäre es eine Fliege auf seinem leckeren Essen.
Nachdem Julius noch ein paar Bissen vom Kuchen genossen hatte, stellte Luise den Korb auf den Boden und sah ihn sanft
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