Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
muss sich mit Gelegenheitsarbeiten wie dieser hier über Wasser halten. Und er hat durch Mord einen Weg gefunden, sich als Künstler unsterblich zu machen. Und so näherte er sich wahrscheinlich seinen Opfern. Er zwang sie, Modell in einem Genre zu werden, in dem er glänzen konnte. Auf einmal zitterte Julius am ganzen Leib. Der Schwindel erfasste ihn wieder, und er schleppte sich zu seinem Bett, ohne das Porträt aus der Hand zu legen.
Ich muss es Lischka zeigen … unbedingt …, dachte er, bevor er in einen tiefen, erdrückenden Schlaf fiel.
III
Für einen eisigen Winterabend war das Zelt des Varieté Sprangel im Wiener Prater erstaunlich gut besucht. Rupert Schwarz lugte zwischen dem Bühnenvorhang in den Besucherraum und beobachtete sein Publikum. Viele Männer mit losen Weibsbildern, ein paar Studenten und die unvermeidlichen Betreiber anderer Varietés, die auf der Suche nach neuen Talenten waren, die sie für ihre eigenen Betriebe abwerben konnten. Rupert Schwarz erkannte sie an der auffällig zur Schau getragenen Gleichgültigkeit, hinter der sich harte Geschäftsmänner verbargen.
Serviermädchen huschten mit ihrem Bauchladen durch die Reihen und verkauften Zigaretten und Konfekt. Rupert sah, wie die Kette mit den roten Glühbirnen anging, und erkannte nur noch die Hälfte der Gesichter, die ihn gleich auf der Bühne bewundern würden. Im Saal lag der Geruch von nassen Mänteln, Schneematsch und Zigarrenrauch.
Er schloss die Lücke im Bühnenvorhang und ging nach hinten in die Garderobe. Dort saß Amalie und verteilte weißen Puder auf ihrem runden, kindlichen Gesicht. Gleichzeitig schmetterte sie klagende Töne in die parfumgeschwängerte Luft, um ihre Stimme warmzusingen.
„Ist was los da draußen?“, fragte sie.
„Das Zelt scheint voll zu sein“, sagte Rupert und griff nach einem Kamm.
Amalie machte ein verärgertes Gesicht und befahl: „Mach den Kamm danach aber sauber! Ich hab keine Lust, jedes Mal deine Haare zwischen den Zinken herauszuziehen.“
Rupert brummte etwas Zustimmendes und begann, sein hüftlanges Haar zu kämmen. Das Publikum würde nachher den Atem anhalten, wenn Rupert diese weiche, dichte Pracht, um die ihn jede Frau beneidete, unter einem hohen Zylinder hervorzuholen und an sich herabfließen lassen würde.
Er trat im Varieté Sprangel als Muskelmann auf. Das war an sich nichts Besonderes, denn im Prater gab es Dutzende Muskelprotze, die für Geld Weinfässer, Eisenkugeln und Wagenräder stemmten. Ferdinand Sprangel, der Besitzer des Varietés, hatte Rupert jedoch wegen seiner Haarpracht engagiert. Er war überzeugt gewesen, dass es auf das Publikum eine unwiderstehliche Wirkung haben würde, diese Mischung aus männlicher Kraft und weiblichem Haarwuchs. Rupert ließ sich die Haare seit zehn Jahren wachsen, und Amalie wusch sie einmal in der Woche mit Bier und rohem Eigelb, was ihnen einen seidigen Glanz verlieh. Rupert hatte Sprangel zugesagt unter der Bedingung, dass Amalie auch eine Arbeit als Sängerin bei ihm bekam.
Sie traten jeden Abend auf. Rupert eröffnete die Vorstellung mit seiner Gewichtheber-Nummer, danach folgten ein Zauberer, ein Affen-Dresseur, eine leichtbekleidete Tänzerin und danach Amalie, die eine Reihe populärer Liebeslieder vortrug. Zu den Auftritten spielte ein kleines Schrammel-Orchester, bestehend aus einem verstimmten Piano, einer Violine und einer Trommel.
Das Sprangel-Varieté war nichts Besonderes. Nur ein preiswertes Vergnügen für einfache Menschen, die einfachen Freuden nachhingen. Nichts im Vergleich zu anderen, glanzvolleren Zelten auf dem Prater. Aber Rupert beklagte sich nicht. Sprangel bezahlte gut, so dass er und Amalie sich eine kleine Wohnung am Praterstern leisten konnten.
Plötzlich spürte er eine Hand auf dem Rücken.
„Ich liebe deine Haare“, flüsterte Amalie und fuhr ihm mit der Hand in den Nacken und über den Kopf. „Wenn du sie jemals abschneidest, verlasse ich dich!“
Rupert bekam eine wohlige Gänsehaut und griff nach hinten, um die Hand auf Amalies Schenkel zu legen. Amalie trug ein smaragdgrünes Seidenkleid, das ihre Schultern und Arme freiließ und das ihre ausladenden Hüften wundervoll betonte. Er spürte ihren weichen Körper unter der Seide und schob sie von sich. „Lass das, Amalie. Ich muss mich konzentrieren.“
Sie lachte spöttisch. „Was? Wie lange spielst du diese Nummer schon, he? Zwei Jahre? Warum musst du dich immer noch konzentrieren?“
Er zog sie an sich und küsste sie. „Du
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