Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
haben mich inspiriert, ob Sie es glauben oder nicht. Darf ich Ihnen vorschlagen, sich von mir porträtieren zu lassen? Sie und Ihre schöne Begleitung natürlich. Ich stelle mir vor, Sie beide als Paar zu malen, in ihrem Bühnenkostüm. Was halten Sie davon?“
Amalie wandte sich zu Rupert hin und sah ihn fragend an. Rupert hoffte inständig, dass seine Gefährtin ablehnen würde. Aber er kannte ihre Eitelkeit, und diese dürfte durch das Angebot des Malers angestachelt worden zu sein. Und schon redete sie einfach drauflos.
„Oh, das ist wirklich eine wunderbare Idee! Wissen Sie, wir wollen demnächst heiraten, und das wäre ein wunderbarer Anlass für ein Bild von uns beiden, Rupert, was meinst du?“
Rupert schwieg und betrachtete den Mann vor ihnen. Es gefiel ihm nicht, dass er ihnen hier im Schatten aufgelauert hatte. Rupert konnte ihn nicht einmal richtig erkennen. Die Züge des Malers verschwammen irgendwie unter der Hutkrempe und im Zwielicht der Praterbuden. Nur ein paar Lichterketten verstreuten ihr milchiges Licht im Winterabend.
„Wir müssten natürlich wissen, was das Bild kosten würde“, redete Amalie unbeirrt weiter. Rupert kannte sie nur zu gut. Für sie war das Bild bereits eine ausgemachte Sache, und Rupert würde sie nicht mehr davon abbringen können.
„Oh, das Geld soll nicht Ihre Sorge sein“, sagte der Maler, „ich mache Ihnen einen speziellen Preis. Hier ist meine Karte.“
Irrte Rupert sich, oder erschien ein starres Grinsen auf dem Gesicht des Mannes, als er das mit dem Preis gesagt hatte?
Er reichte Amalie eine Visitenkarte, auf der der Name Alois Lanz stand, zusammen mit einer Adresse, die jedoch so klein gedruckt war, dass man sie im Dunkeln kaum entziffern konnte.
„Haben Sie ein Atelier?“, wollte Rupert wissen.
„Das habe ich, ja. Aber ich arbeite gern bei meinen Modellen zu Hause. Dort herrscht eine andere Atmosphäre, so dass sie einen viel natürlicheren Ausdruck haben als in einem Atelier.“
„Hören Sie, können Sie Polly auch mit auf das Bild malen?“, fragte Amalie aufgeregt.
„Wer ist Polly?“, fragte der Maler.
„Das ist mein kleiner Hund. Polly muss unbedingt mit aufs Bild!“
Der Maler schien sich ein Lächeln verkneifen zu müssen und sagte leise und wie zu sich selbst: „Noch besser …“ Dann straffte er sich und fragte: „Sie haben doch tagsüber gewiss Zeit, oder?“
„Ja, tagsüber sind wir daheim am Praterstern. Wir arbeiten nur abends“, sagte Amalie.
Rupert biss sich auf die Lippen. Warum erzählte sie diesem Kerl, wo sie wohnten? Sein Instinkt sagte ihm, dass es keine gute Idee war, Alois Lanz allzu viel von sich zu verraten. Doch er wischte den Gedanken gleich wieder weg. Ein Gemälde von ihm und Amalie war wirklich eine schöne Idee. Dann würde er ihr eben demnächst den Antrag machen, und dann waren sie endlich ein richtiges Paar mit eigenem Hochzeitsbild.
„Na gut, Sie können ja morgen Mittag vorbeikommen und anfangen, wenn das passt“, sagte Rupert.
Die Augen des Malers begannen zu leuchten, als loderte ein helles Feuer darin. Er reichte dem Muskelmann die Hand.
„Sie werden es nicht bereuen!“ Dann gab er Amalie die Hand. „Ich werde Sie als Samson und Dalila malen, das ist ein wunderbares Motiv.“
IV
Julius hatte unterschätzt, wie geschwächt er noch war. Die Entdeckung des Bildes hatte ihn dermaßen erschöpft, dass er fast einen Tag lang schlief und erst aufwachte, als es schon wieder dämmerte. Ein bohrender Hunger hatte ihn aus dem Schlaf geholt. Julius wickelte das Porträt in ein weißes Tuch und versteckte es wieder unter der Bodendiele. Dann zog er seine Jacke an und ging hinunter auf die Straße. Er fragte sich bis zum nächsten Telegraphenamt durch und schickte Inspektor Lischka eine Nachricht. Habe dringende Neuigkeiten für Sie. Sitze im Westend .
Dann begab er sich in das Kaffeehaus und bestellte eine große Portion Gulasch mit Tarhonya. Er konnte es kaum erwarten, dass der Ober mit der dampfenden Schüssel an seinen Tisch kam, so ausgehungert war er. Das Gulasch schmeckte so gut, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er fühlte, dass er wieder klar denken konnte, und er wusste, dass er auf dem Weg der Besserung war. Nach dem Essen wartete er, dass Lischka auftauchte.
In seinem Kopf vermischte sich das süße Gesicht Johannas mit dem erstarrten Lächeln auf dem Porträt, und im Hintergrund zuckte immer wieder das diabolische Treiben Luises auf wie ein glimmender Docht. Julius wusste, dass
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